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Dienstag, 8. Dezember 2009

Apokalypsenau - alles aussteigen!


Neulich kam ich von einer Weihnachtsfeier und war von Glühwein und Lebkuchengewürzen so high, dass ich prompt den falschen ICE bestieg. Ich ermüdete und erwachte erst am Endhalt in Apokalypsenau, Hauptstadt der Zwergrepublik Mucosilvanien. Die liegt mitten im Gebirge an der gemeinsamen Grenze von Belgien und Österreich.

Schon mal hier, schaue ich mich doch gleich ein wenig um, dachte ich. Wobei ich gestehen muss, dass ich gar nicht so schnell wieder weggekonnt hätte, selbst wenn ich wollte. Die Mucosilvaner Berg- und Talbahn (MBT) soll nächstes Jahr an die Börse. Aus diesem Grund fährt die Bahn nur montags, um die Bremsen und Radachsen zu schonen. Kann man sich nicht vorstellen, ist aber so.

Die Mucosilvanier sind ein stolzes Volk, weil sie den direkten Sprung von der Schnurkeramik- zur Glockenbecherkultur geschafft haben. Dieser Stolz verbindet sie mit den Nussknackermenschen im Erzgebirge. Die Mucosilvanier sind ultrasympathisch. Kennste einen, kennste alle.

In Apokalypsenau war ordentlich was los, denn auch der Zwergenstaat war von der weltweiten Krise betroffen und völlig pleite. Man hatte sich gerade eine neue Regierung gewählt. Mit beispielloser Mehrheit kamen dabei die Schuldigen der Finanzkrise an die Macht. Ein Apokalypso (so nennt man hier die Hauptstädter) hat mir das so erklärt: "Die habens eingebrockt, die müssens auslöffeln." Zumal die einzig relevante Oppositionspartei in ihrem Wahlprogramm damit geworben hatte, die Krise und Staatsschulden einfach zu verbieten.

Die neue Regierung kündigte sogleich ein groß angelegtes Konjunkturprogramm an. Jeder, der ein Auto kauft, soll einen Zweitwagen geschenkt bekommen. Bei Gebrauchtwagen gibt es ein Fahrrad, denn die Regierung ist am Umweltschutz interessiert. Jede Woche fliegt der neue Umweltminister zu irgendeiner Klimaschutzkonferenz, die sich der Reinhaltung der Atmosphäre widmet. Auch werden alle Autobahnen und öffentlichen Gebäude des Nachts mit Strahlern ausgeleuchtet, um den Verbrauch von Ökostrom zu fördern.


Der frisch gekürte Finanzminister Leopold Tesoro war so findig, die Staatsschulden eins zu eins in Staatsvermögen zu verwandeln, indem er das Minuszeichen mit einem senkrechten Strich überzeichnete. So viel Geld hatte es nie zuvor gegeben! (Der Begriff "Überzeichnen" kommt übrigens aus der Börsensprache und meint das nachträgliche Ändern des Wertes einer Aktie.) Mit dem Guthaben gründete man einen Bankenrettungsfond, denn Apokalypsenau ist als internationales Finanzzentrum von einiger Bedeutung. Die eine Hälfte des Fonds wurde für Hochglanzbroschüren und bedruckte Tassen aufgewendet, um die Bevölkerung zu informieren. Die andere Hälfte floss unmittelbar an die Bankenmanager, denn die wissen bekanntlich, wo das Geld fehlt.

Zum wichtigsten Leitstern der neuen Regierung wurde das Gleichheitsprinzip erklärt. Alle Mucosilvanier sollen gleiche Voraussetzungen bekommen. Ab Januar 2010 werden alle, ob arm ob reich, ob Mann ob Frau, den gleichen Betrag in die Kranken-, Renten- und Sozialkassen einzahlen. "Wir müssen uns mehr am Markt orientieren und von seinen liberalen Gesetzen lernen", erklärte Premierminister Franco Bollo in seiner Sonntagsansprache. "Auf dem Markt bezahlt ja auch jeder unabhängig von seiner Herkunft denselben Preis für ein halbes Brot, einen Liter Milch oder eine Flasche Doppelkorn. Dieses gerechte Prinzip muss sich in den Sozialausgaben wiederfinden."

Um die Stimmung in der Bevölkerung zu heben und um auch die letzten Kritiker zu überzeugen, wurde der Freitag zum verkaufsoffenen Feiertag erklärt. Das Wochenende hat damit drei Tage und bringt eine ganz neue Partykultur mit sich. Das alles klingt so vielversprechend, dass ich beschlossen habe, demnächst dorthin zu ziehen. Und tschüss!

ps: Mein behandelnder Arzt meinte, ich hätte die Schweinegrippe und Fieberfanstasien. "Mucosilvanien" würde genausowenig existieren wie "Apokalypsenau". Woher habe ich denn sonst die Fotos? Bilder lügen nicht. Doch yahoogelt es selbst, das Netz lügt ebensowenig. Ich vertraue auf die Vernunft des Lesers, denn der Leser bin ich.

Fotos: Peep Durple