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Freitag, 30. Mai 2008

Dagstur nach Eisenhüttenstadt


Jüngst hatte Berlinblogger.no die Eisenhüttenstadt besucht und über den Stadtbesuch einen Blogeintrag verfasst, auf Norwegisch. Der Eintrag stammt übrigens vom 27. Mai, einem Dienstag, an dem ich selbst mit einer Gruppe amerikanischer Studenten aus St. Louis (und nicht St. Lois!) in der Stahlinstadt unterwegs war. Vielleicht sind wir sogar aneinander vorbeigelaufen? Gott allein weiß es. Jedenfalls ist die Stadt immer wieder einen Ausflug wert, nur die Bürger selbst haben es noch immer nicht kapiert (Stichwort: Stadtmarketing & Souvenirs).

Den ersten Absatz des Blogeintrags hatte ich bereits gestern ins Deutsche übertragen. Da mir Berlinblogger.no freundlicherweise die Erlaubnis erteilt hat, auch den Rest des Eintrags zu übersetzen, folgt heute das Gesamtkunstwerk in sechs Absätzen:

1. Wenn du den Zug nimmst, der Berlin alle halbe Stunde in südöstlicher Richtung verlässt, gelangst du an den Oderfluss an der Grenze zu Polen. Hier gibt es eine besondere und interessante Stadt, die Eisenhüttenstadt heißt. Es ist eine sozialistische Idealstadt, die in den 50er und 60er Jahren errichtet wurde. Im Großen und Ganzen sieht sie noch so aus wie vor dem Mauerfall von 1989.

2. Der Name bedeutet "Schmelzhüttenstadt". Er leitet sich vom parallel errichteten Stahlwerk ab, welches die Hauptarbeitsstätte der Bewohner war. Bis 1961 hieß die stadt Stalinstadt. Zu diesem Zeitpunkt wurden ältere Ortschaften eingemeindet und der neue Name der "Metropole" mit einer Einwohnerzahl von 40.000 lautete Eisenhüttenstadt.

3. Die Architektur war anfänglich typischer Klassizismus der Stalinepoche, vergleichbar mit der Karl-Marx-Allee in Berlin. Ab den sechziger Jahren wurden wie überall in der DDR eine Reihe von Plattenbauten hochgezogen. Der Stadtplaner Kurt Walter Leucht bestimmte das Design der Stadt.

4. Obwohl das Stahlwerk seit langem privatisiert und rationalisiert wurde, obwohl sich selbst Burger King in der Hauptstraße angesiedelt hat, gibt die Stadt immer noch einen seltsamen, interessanten und vermutlich auch etwas wehmütigen Blick frei auf eine Welt, die wohl nicht so geworden ist, wie man einst dachte, dass sie werden würde.

5. Die Stadt wurde mit Hauptaugenmerk auf Weh und Wohl der Arbeiter in einer kommunistischen Idealstadt erbaut, und das spiegelt sich in der Architektur und der Planung wider. Straße und Plätze sind mit mehr oder weniger ideologisch konformen Skulpturen geschmückt. In der Stadt gab es bis 1990 keine Kirche.*

6. In Eisenhüttenstadt befindet sich passenderweise das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, welches die Alltagskultur in der ehemaligen DDR dokumentiert.

Danke für den Text und die Erlaubnis zur Übersetzung, lieber Berlinblogger.no. Tack så hemskt mycket!

* Halt, das stimmt nicht, denn es hat von Anbeginn eine Kirchengemeinde gegeben, das Gemeindezentrum wurde 1981 eingeweiht. Allerdings hatte es die Kirchengemeinde wie allerorten in der DDR nicht so einfach.

Donnerstag, 29. Mai 2008

No way from Norway?


Ben, der gewiefte Blogbuster, hat wieder einmal ein kosmopolitisches Nugget aus der Blogosphäre heraus gewaschen. Vat fint! Im aktuellen Posting bezieht er sich auf ein norwegisches Zitat, welches er beim Berlinblogger.no entdeckt und seinem eigenen Eintrag vorangestellt hat:

"Hvis du tar toget halvannen time sørøst fra Berlin havner du ved elven Oder, på grensen mot Polen. Her ligger et spesielt og interessant sted som heter Eisenhüttenstadt. Det er en sosialistisk idealby, som ble oppført på 1950- og 60-tallet. Fremdeles består den i all hovedsak som den gjorde før muren falt i 1989."

Nur leider beherrscht Ben die Sprache der Wikinger nicht und rätselt "mit dürftigsten Kenntnissen der skandinavischen Sprachfamilie" über dessen Inhalt. Es geht also um Eisenhüttenstadt. Aha. Euer geschätzter Erzähler Andy Leser jedoch spricht einen verwandten Wikinger-Dialekt superfließend, der nennt sich Schwedisch. Hier mein Translationsversuch:

"Wenn du den Zug nimmst, der Berlin alle halbe Stunde in südöstlicher Richtung verlässt, gelangst du an den Fluss Oder, an die Grenze nach Polen. Hier gibt es eine besondere und interessante Stadt, welche Eisenhüttenstadt heißt. Es handelt sich um eine sozialistische Idealstadt, die in den 50er und 60er Jahren errichtet wurde. Im Großen und Ganzen sieht sie noch so aus wie vor dem Mauerfall von 1989."

Dass das so nicht stimmt, soll obiges Foto beweisen (zum Vergrößern bitte aufs Bild klicken, danke). Dafür finde ich es gleich dreifach schön, dass mal jemand aus Norwegen diese Stadt besucht. Mycket bra! Det vore bra att träffas en gång i den här staden!

Louis vs Lois, Luis und Lewis


ZUR INFO: Es ist ein Kreuz mit der Rechtschreibung, auch Orthografie, also Lehre vom richtigen Schreiben, genannt. Da werden ständig die Regeln geändert, dass es keine Freude ist und die Bild-Zeitung ernsthaft darüber nachdenkt, ihrem Namen alle Ehre zu tun und auf Texte völlig zu verzichten. 1904 gab es eine Rechtschreibreform, 1996 die nächste einschließlich der Überarbeitungen von 2004 und 2006.

Aber Saarlouis wurde schon immer so geschrieben: Saarlouis. Zwei Worte: Saar wie der deutsch-französische Fluss und Louis wie der Name.

Auf der Hinweistafel am Fürstenberger Arboretum steht es wieder einmal falsch: "Saarloiser Straße". Ist ja auch nicht so leicht. Vielleicht dachte der zuständige Verantwortliche einfach an zwei Flüsse: Saar und Lois. Lois ist der längste Fluss Osttimors, die gedankliche Verbindung Osttimor-Ostdeutschland ist also nicht ganz so weit hergeholt.

Es wird der Tag kommen, an dem wird ein anderer assoziativ begabter Mensch beim Anblick Eisenhüttenstadts an "Alice im Wunderland" und dessen Autor Lewis Carroll denken und in traumhafter Verzückung Saarlewiser Straße schreiben. Saar wie der Fluss und Lewis wie die englische Schreibweise von Luis.

Ein Vorschlag zur Güte: Um die Sache zu simplifizieren kann man auch gleich komplett eindeutschen und in Analogie zu Ludwigslust oder Ludwigshafen Saarludwig schreiben. Ist ja sowieso ne deutsche Stadt. Klingt zwar irgendwie Rotze, Saarludwiger Straße, aber was will man machen?

Donnerstag, 8. Mai 2008

Da staunte Konrad Wachsmann: Ein Friedrich-Wolf-Theater in der Stalinstadt?


Bereits an anderer Stelle hat das Logbuch Stahlinstadt eine Passage aus dem Wachsmann-Report zitiert, die sich mit Eisenhüttenstadt beschäftigt. Jetzt gibt es neue Fertignahrung für die Bildungshungrigen unter Euch Lesern.

Der in Frankfurt an der Oder geborene Architekt Konrad Wachsmann musste während der Nazi-Diktatur in die USA ins Exil gehen und besuchte 1979 die DDR. Der Wochenpost-Redakteur Michael Grüning plante ein Interview (welches sich dann zur wahren Auto-Biografie ausweitete, dem "Wachsmann-Report") und begleitete Wachsmann auf seiner Rundreise durch Ostdeutschland, die ihn auch zur Stippvisite nach Hütte führte.

Zu den Teilen, die während der DDR-Diktatur (Ja, es war eine!) nicht erscheinen durften, äußerte sich Grüning in einer Neuausgabe seines Buchs 2001 - im Epilog II: Vom schwierigen Umgang mit der Wahrheit. Darin geht es vorangig um kritische Exil-Erfahrungen, die Wachsmann mit Exilanten machen musste, die später in der DDR hohe Posten bekleideten, wie zum Beispiel Walter Ulbricht, Alexander Abusch oder Kurt Liebknecht. Darin habe ich folgendes entdeckt:

"Unveröffentlicht, aber unvergessen ist auch eine andere Erinnerung von Konrad Wachsmann, die möglicherweise zu unvorstellbaren Konsequenzen geführt hätte. In Eisenhüttenstadt, dem früheren Stalinstadt, erinnerte er sich beim Vorbeifahren am Friedrich-Wolf-Theater an den Dramatiker und Arzt, der im Kulturleben der Weimarer Republik zu den bekanntesten Persönlichkeiten gehört hatte und dessen 1934 in Zürich unter dem Namen "Professor Mannheim" uraufgeführtes Drama "Professor Mamlock" weltberühmt geworden ist. Nach der Premiere im Zürcher Schauspielhaus hatte es von Nazis angezettelte Krawalle gegeben, durch die das Drama über Nacht auch für internationalen Gesprächsstoff sorgte. Wachsmann hatte den Dramatiker aber bereits in Deutschland kennengelernt und war ihm im Exil wiederbegegnet [...]

Vor dem Friedrich-Wolf-Theater in Eisenhüttenstadt berichtete Wachsmann, dass Friedrich Wolf große Angst davor gehabt hätte, wieder in die Sowjetunion zu gehen, obwohl seine Familie (z. B. Konrad und Markus Wolf) in Moskau lebte. Viel lieber wäre er in die USA emigriert, die ihm jedoch kein Visum erteilt hätten.

Von Lion Feuchtwanger habe er später erfahren, dass Friedrich Wolf in der Sowjetunion schon früh zu den extrem gefährdeten Personen gehörte und deshalb 1938 nach Spanien wollte, dann aber in Frankreich bleiben musste. Wachsmann fand es deshalb kurios, ausgerechnet in der früher nach Stalin benannten Stadt ein Friedrich-Wolf-Theater vorzufinden."

Dazu muss ich erwähnen, dass unter Stalins Herrschaft viele Exilanten plötzlich "verschwanden" oder in sibirische Lager kamen. Friedrich Wolf drohte wohl ein ähnliches Schicksal, dem er jedoch entgangen ist, denn er starb 1953 kurz nach Stalin in der DDR.