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Samstag, 27. Dezember 2008

Zweitausendundneunjahrswünsche

Was ham wir gelacht,
Zweitausendundacht!

Was wern wir uns freun,
Zweitauendundneun!
~

Montag, 22. Dezember 2008

Dein ist mein ganzes Hartz IV

Es war mal ein deutscher Liedermacher, der gab sich immer so oberlehrerhaft, dass er den deutschen Bildungsphilistern direkt ans Herz wuchs und Karriere machte. Die Achtziger waren das Jahrzehnt von Heinz Rudolf Kunze.

Gestern war Hinz Rudolf Kunz wieder mal im Radio zu hören, als Interviewpartner auf Radio Eins. Dort durfte man viel Neues erfahren. Zum Beispiel, dass deutschsprachige Musik schlecht sei, weil niemand mehr dichten könne so wie früher. Auch wurde früher insgesamt bessere Musik gemacht als heute. Ja früher, als alles noch aus Holz war. Dabei hatte Herr Kunze in den Neunzigern an vorderster Front für eine Quote von deutschsprachiger Musik im deutschen Radio gekämpft. Nun stellt sich heraus, der Kunze mag The Who, The Kinks und The Smith viel lieber als Udo Lindenberg und Helge Schneider.

Warum der Wind an dieser Stelle? Heinz Rudolf Kunze ist zwar ein Wessi und in Oldenburg aufgewachsen, seine Eltern stammen aber aus der Niederlausitz, sie sind Vertriebene. Laut seiner Aussage leben ein Teil der entfernten Verwandten in - aufgepasst! - Eisenhüttenstadt, Guben oder Cottbus.

Also: wer mit Heinz Rudolf Kunze verwandt ist und Kontakt hat, der kann ihm ja mal sagen, dass er zwar einen guten Musikgeschmack bewiesen, aber dennoch keine Ahnung von Musik hat.

Donnerstag, 4. Dezember 2008

Berufung

"Ist der Beruf erst ruiniert,
lebt es sich ganz ungeniert."

(J. F. Mamjjasond)

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Selbstgespräche bloggen

"Bloggen ist wie Selbstgespräche führen, nur mit dem Unterschied, dass man sich dabei nicht selber zuhören muss."

(J. F. Mamjjasond)

Dienstag, 2. Dezember 2008

Alter Schweder

"Bloggen ist wie Masturbieren. Man kann die lyrischsten Ergüsse haben, doch keine Votze kriegt’s mit."

Diese – zugegebenermaßen – recht harsche Aussage stammt nicht von mir, sondern von dem von mir erfundenen skandinavischen Medienphilosophen J. F. Mamjjasond. Justus Frederik Mamjjasond ist Herausgeber des schwer verdaulichen Magazins DER DARMSPIEGEL und gilt gemeinsam mit Hermann Schnulze-Sandwich als Begründer der Völlerei- und Rafinessenbanken.

Das Logbuch Stahlinstadt kann sich glücklich schätzen, seinem einzigen Leser einige Serviettennotizen aus der Hand des J. F. Mamjjasond präsentieren- und pflanzen zu dürfen. Mamjjasond, halb Schwede, halb Norweger, halb Däne, wird uns mit seinen Weisheiten adventskalendarisch bis zum Weihnachtsabend beglücken.

Samstag, 29. November 2008

Tischvergiftung

"Tischvergiftung erkennt man am Stuhl."

(J. F. Mamjjasond)

Donnerstag, 20. November 2008

Schlüssel-Übergabe

Vor langer Zeit habe ich es meinem einzigen Leser versprochen - hier ist es nun, das Wandbild aus einer Stadt der Schlüsseltechnologie. Wer sagen kann, wo genau sich dieses Wandbild, dessen Urheber mir leider unbekannt ist, befindet, der kann sagen, dass er/sie sich gut in der Gegend auskennt.

Jedenfalls stammt das Foto aus einer Zeit des Aufbaus. Wie man sehen kann, überreicht der Baukran justamente die Schlüssel zur Übergabe des Neubaus (nicht im Bild). Der ebenfalls abgebildete Passant steht mit der Wandgestaltung in keinerlei Verbindung - oder etwa doch? Handelt es sich um den ersten in jenem Haus Geborenen? Ist es der Sohn des Wandgestalters? Gibt es einen Gott, und wenn ja, wo wohnt er?

Wir werden es wohl nie erfahren und müssen darum einsehen, dass wir ebenso unwissend sterben, als wie wir geboren wurden. Amen.

Dienstag, 18. November 2008

Der Himmel so weit

Die Zeit der Lichter rückt näher. Die Gesamtschule spannt bereits den Lichterbogen über ihrem Viertel aus und auch der Weihnachtsstern ist hübsch am Himmel drapiert. Die Adventszeit kann kommen - und dann gehen. Mein Tipp: Lübecker Marzipan und ein Glas Rotwein, und die Geschmacksknospen blühen auf.

Mittwoch, 5. November 2008

Sieg! Sieg! Sieg!

"Have no fear because Bond is black!"
(Barry Adamson: 007, Another Bond Theme)


Nun ist es offiziell! Barak Obama wird der 44. Präsident und der Michail Gorbatschow der Vereinigten Staaten von Amerika. Was bei Gorbatschow "Perestrioka" (Umgestaltung) hieß, ist bei Obama "Change" (Wechsel, aber auch das Wechselgeld). Ebenso jung ins Amt gekommen, wird er den Dreck seiner Vorgänger wegräumen müssen. Und da Putzen nur mit Musik Spaß macht, hat euer ergebener Logbuchführer Andi Leser Barak Obama eine Playlist zusammengestellt:

  1. Art Blakey feat. Sabu: Message From Kenia
  2. Z. Z. Hill: Clean Up America!
  3. Bobby Byrd: I Need Help! (I Can't Do It Alone)
  4. Donald Byrd: Design a Nation!
  5. Cannonball Adderley: Walk Tall!
  6. Sly & the Family Stone: Stand!
  7. Gene Harris: Don't Call Me Nigger, Whitey!
  8. James Brown: Say It Loud! (I'm Black And I'm Proud)
  9. Lyn Collins: Think (About It)!
  10. George Soul: Get Involved!

Weitere Putzmittel sind gern gesehen und können im Kommentarfeld verwendet werden. Was das alles mit der Stadt, die wir so lieben, zu tun hat? Globalisierung, Leute, Globalisierung!

Nachtrag vom 17. November: Mit Hinblick auf die Tatsache, dass der Wahlkampfleiter von Barak Obama David Axelrod heißt und die Wahl zum Präsidenten der USA an einem Dienstag entschieden wurde, ergänze ich meine Liste mit einem Titel von einem anderen Menschen selben Namens:

  • David Axelrod: Holy Thursday

Dienstag, 4. November 2008

Buhs für Bush

Schwarz oder weiß, jung oder alt, links oder rechts? Die USA, das mächtigste Entwicklungsland der Erde, dürfen heute einen neuen Präsidenten wählen. Die schwarze Bevölkerung, die Intellektuellen und die Menschen im weltweiten Ausland wünschen sich offensichtlich, das Barak Obama das Rennen macht und der Negus der 50 Bundesstaaten wird. Und wie es scheint, möchten auch die Republikaner selbst, dass der kenianische Kennedy gewinnt, denn sie lassen den invalidisierten Rentner und Eins-zwei-drei-Fritz John McCain als Gegenkandidaten antreten.

Doch seien wir nicht zu voreilig! Vergessen wir nicht, dass die United Aids of America keine Demokratie sind – oder etwa schon die Wahlfälschungen von George W. Bushido vergessen? Nur so konnte dieser Dingrich im Jahr 2000 die Stichwahl gewinnen. Auch sind mindestens ein Drittel der amerikanischen Wähler potentielle NPD-Wähler, nur dass diese Partei dort nicht unter dem Namen antritt… Lediglich ein Viertel der Wähler kommt hingegen aus der schwarzen Nachbarschaft. In den USA werden nicht Inhalte gewählt, sondern Personen. Da nimmt man doch lieber jemanden, der so ist wie man selbst, also einen John McCain. Die Amerikaner mögen eben Freaks, man denke dabei nur an Eisenhower (ein guter Name für einen EKO-Mitarbeiter), Richard Milhous Nixon oder an den Schauspieler Roland Reagan.

Einen Sieg gibt es allerdinx jetzt schon: Die fleischgewordene Presidentose Bush wird so oder so zum Jahresende seinen Stuhl im Oral Office räumen müssen und keiner, außer dem Zwiebeln schneidenden Koch, wird ihm eine Träne nachweinen. Buh!, euer ergebener Berichterstatter macht eine kräftige Lippenmusik für Bush junior!

Obama muss es machen. Auch wenn er nicht zaubern kann, brauchen die Menschen einen sichtbaren Wechsel. Und der geht einfach nur mit einem jungen, dynamischen und kosmopolitischen Menschen. Das spornt die Menschen zu einem Wandel in ihrer eigenen Weltsicht an.

Was das alles mit der Stadt, die wir so lieben, zu tun hat? Globalisierung, Leute, Globalisierung!

Freitag, 10. Oktober 2008

Hütte-Abend im Zeughaus-Kino

Immer wieder erreicht mich die Frage: "Andi, wieso schreibst du Stahlinstadt mit 'h'?" Nun will ich die Sache ein für alle mal klarstellen. Ganz einfach: es heißt ja auch Stahlindustrie und nicht Stalindustrie.

Mein lieber Blogsbruder Ben vom Eisenhüttenstadt Blog hat mich doch tatsächlich überreden können, gestern ins Zeughaus-Kino in Berlins Mitte zu kommen. Dort wurden vier sehenswerte historische Dokus gezeigt, die sich mit ehemals neuen Eisenhütten- und Betonstädten in der DDR beschäftigten.

Ich habe es nicht bereut. Beim Eintritt in den Sesselsaal vernahm ich leise Jazzmusike aus dem Hause Blue Note Records und erkannte sogleich den Interpreten, den genialen Bud Powell (bitte nicht mit Baden Powell verwechseln) mit seinem verrückten Klavierbonbon "Un Poco Loco". Ob die allmächtige Matrix damit etwa mich und meinen kalauernden Kompagnon meinte?

Bereits die ersten Bilder des Films "Bild aus hunderttausend Steinen" waren ein Vergnügen. Bonbonfarbener Fünfziger-Jahre-Schick durchblumte eine lebendig quirrlende Stalinstadt. So habe ich mir das immer gewünscht und Otto Schutzmeister vermutlich auch. "Ein sozialistisches Shangri-La" nennt es der Junge von nebenan in seiner Besprechung. Der Wändekünstler Walter Womacka stieg mit einem Kompagnon aus einem Bus mit Werksarbeitern und strebte dem Rathaus (egtl. Hausse der Parteien und Massenorganisationen)... [hier fehlt ein Teil des Textes]

Der Film zeigt, wie aus einer Idee ein Bild und schließlich ein Mosaik wird. Eine Heidenarbeit! Nun sehe ich das Mosaik im Foyer des Rathauses mit ganzen anderen Augen und will unbedingt demnächst wieder hin. Sogar Obama ist oben rechts abgebildet. Da hätte die allmächtige Matrix anfangs auch noch den Blue Note-Klasiker "Mosaic" von Art Blakey & his Jazz Messengers einspielen können, aber vielleicht waren Ben und ich da noch draußen an der Kasse.

Alles weitere könnt ihr nebenan lesen. Tschüß!

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Ist der Kapitalismus bankrott?

Wie die Merkwürdige Oderzeitung in ihrer heutigen Rabattausgabe ("20% auf jeden Artikel!") verkündet, will die Stadtverwaltung für das angeschlagene Fürstenberger Bankenhaus Müller-Meier-Lehmann eine Bürgschaft von mehreren hundert Millionen Euro aufnehmen. Ein Großteil der Summe soll zur Stabilisierung der Managergehälter und -abfindungen dienen. Der regierende Bürgemeister Rainer G. Mauschel warb gestern mit Ferrero Küsschen und Mon Cheri um die Zustimmung der Abgeordneten.

Die Müller-Meier-Lehmann-Bank war infolge der Immobilienkrise in den USA in finanzielle Bedrängnis geraten. Auch hatte man die Entwicklung mehrerer Aktienkurse falsch erwürfelt. Noch im August hatte der Pressesprecher des Unternehmens, Simon Dreißig, zu beschwichtigen versucht: "Es ist ja nicht so, dass das Geld wirklich weg ist. Es hat nur jemand anders."

Richtig brenzlig wurde es für das Bankenhaus aber erst durch die so genannte Nummernaffäre. Der Vorstandsvorsitzende Sebastian Gernegros war in einem Wiener Bordell an einer Überdosis ungestrecktem bolivianischem Kokain verunglückt und hatte dabei die Zugangsdaten für etliche Schweizer Nummernkonten mit ins Grab genommen. Auch Einlagen auf Liechtensteiner Depots und den Cayman-Inseln sollen betroffen sein.

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Michael Schlawinsky wandte sich nun an den Bürgemeister mit der Bitte um finanzielle Beihilfen. Aus Sparzwängen musste bereits einzelnen Mitarbeitern gekündigt werden.

Entscheidung nicht auf die lange Bank schieben

"Nun sei die Gemeinschaft gefragt", sagte Michael Schlawinsky auf einer Pressekonferenz am Montag. In eindringlichen Worten stellte Schlawinsky klar: "Es kann nicht sein, dass immer nur den Arbeitslosen geholfen wird und denjenigen, die sich für die Konjunktur aufopfern, immer nur die Steuerlast aufgehalst wird. Es wird Zeit, dass sich der Staat auch mal revanchiert."

Bürgemeister Rainer G. Mauschel, der auch im Aufsichtsrat der an der Müller-Meier-Lehmann-Bank nicht unwesentlich beteiligten Schmidt-Schulze-Bank sitzt, pflichtete dem in einem Radiointerview bei. "Es soll der Schade des Bürgers nicht sein. Schließlich fließt ein Teil des Geldes durch Steuereinnahmen wieder in städtische Kassen zurück", versprach er.

Die Fraktion der LINKEN, die seit der Kommunalwahl ein Drittel aller Abgeordneten stellt, macht ihre Zustimmung von zwei Bedingungen abhängig. So soll das Fürstenberger Bankenhaus die Patenschaften für zwei kommunale Kindergärten übernehmen und dem Städtischen Gymnasium einen neuen Fahrradständer sponsern. Auch eine Packung farbiger Tafelkreide sei im Gespräch.

Lediglich der Vorsitzende der Fürstenberger Bürgevereinigung, der bekannte Kartograf Erich Apitz, verweigert die Mitarbeit. "Es kann doch nicht sein, dass wir hier den Kapitalismus subventionieren! Sollen doch die Manager endlich mal die Verantwortung übernehmen und etwas von ihren Pensionsansprüchen abgeben!" Bürgemeister Mauschel tat diese Aussage jedoch als "unüberlegt" und "sozialneidisch" ab. Nun soll die nächste Sitzung der Stadtverordneten in Bankok die Entscheidung bringen. Stadtastrologe Mystix hat die Hauptstadt Teillands aus nominellen Gründen zum Tagungsort bestimmt, die Kosten für Anreise und Übernachtung übernehmen Müller-Meier-Lehmann.

Sonntag, 28. September 2008

Wenn der Schläfer erwacht

"Und nichts von dem... das den... Schläfer... in mir erweckte."
(Frank Herbert: Der Wüstenplanet)

Diese Geschichte habe ich noch nie jemandem erzählt, aus Angst für verrückt gehalten zu werden. Dabei ist ein jedes Wörtchen wahr, ich habe sie alle im Wörterbuch gefunden.

Es war 1988, also vor 20 Jahren, da kam ich in die Pubertät und hatte ständig Streß mit meinen Eltern. Sie wollten andauernd, dass ich dies und jenes mache, spionierten mir hinterher und hatten auch sonst vergessen, dass sie selber einmal Kinder gewesen waren. Ich verweigerte meine Mitarbeit wiederholt mit dem Satz: Ich möchte lieber nicht." Als Strafe für mein Fehlverhalten gab es Sanktionen: Fernsehverbot, Liebesentzug, frühes Zubettgehen. Auch in der Schule gab es viel Zoff, denn Direktor Diedrich Knickerbocker war ein gestrenger Patron.

Einmal sollte ich in den Club Hans Marchwitza in den Diehloer Bergen gehen, um dort für meine Eltern etwas abzuholen. Dabei verlief ich mich sowas von dermaßen in den Gartenanlagen, dass ich mich gar nicht mehr zurecht fand, denn ich war noch nie im Marchwitza-Club gewesen. Irgendwann gelangte ich hinter den Gärten in den Wald und setzte mich erschöpft nieder. Als ich mich zum Weitergehen anschickte, hörte ich aus der Ferne ein Rufen: "Andi Leser! Andi Leser!" Ich sah mich um, konnte aber nur eine Krähe im einsamen Flug erkennen. Ich dachte schon, meine Fantasie hätte mich genarrt, da vernahm ich das selbe Rufen: "Andi Leser! Andi Leser!"

Plötzlich entdeckte ich eine sonderbare Gestalt, die sich mit einer Last auf dem Buckel durch den Wald mühte. Beim Herankommen sah ich, dass die Gestalt einen alten Mann mit einem Kasten Bier ergab. Der alte Mann bedeutete mir näherzukommen und beim Tragen zu helfen. "Fass mal mit an, Andi!" Hätte das Hutzelmännchen nicht meinen Namen gewusst, ich wäre lauthals schreiend weggelaufen.

So stapften wir durch die Diehloer Berge, bis wir zu einer Lichtung kamen, auf der sich bereits eine Gesellschaft um eine hohe Kiefer versammelt hatte. Was mich am meisten verwunderte war, dass die Leute, obwohl sie sich offensichtlich amüsieren wollten, die ernstesten Mienen zur Schau trugen. Wir stellten den Kasten Bier ab und der Alte bekam eine Axt in die Hand, mit der er die Kiefer umhauen sollte. Die versammelten Leute zählten jeden Axthieb lautstark mit. Als die Kiefer umfiel, machte mir der Alte Zeichen, ich solle die Gesellschaft bedienen und soviel Flaschenbier vergeben, wie er Axthiebe gebraucht habe. Zum Schluss blieb eine Flasche übrig, die ich mir öffnete und zum Mund führte, bis meine Sinne umnebelt wurden, die Augen schwammen und ich vor Ort in tiefen Schlaf fiel.

Beim Erwachen stand die Sonne hoch am Himmel und ich bekam einen Schreck, denn es war mir wie Frühling. Die Vögel zwitscherten, die Bäume trugen zartes Grün und alles blühte. Meine Kleidung hing in mürben Fetzen an mir. Dann fiel mir ein, was sich ereignet hatte, bevor ich eingeschlafen war. Oh! Diese Flasche! Verdammtes Bier!

Ich machte mich auf den Weg heimwärst und rechnete in Gedanken schon mit den Bestrafungen meiner Eltern, als ich auf einem nahen Weg einen Opel Calibra fahren sah. Ich nahm dies als Glück spendendes Omen, denn ein Westauto war in meiner Kindheit etwas sehr seltenes. Doch je näher ich der Stadt kam, desto mehr West-Pkw waren zu sehen. Auch gab es neue Straßenschilder, die mir die John-Schehr-Straße als Poststraße auswiesen. Ich war irritiert.

Es gab noch weitere Unklarheiten. Über unserer HO-Kaufhalle stand mit einem Male SPAR, der heute verschwundene Kiosk war dicht bepackt mit Bild-Zeitung, Bravo und Tagesspiegel. Vorne an lag der Asterix-Band "Der Kampf der Häuptlinge". Ich frug einen Passanten, ob wir denn jetzt im Kommunismus leben würden, doch der ranzte nur: "Rote Socke!"

Zuhause angekommen, fielen mir die vielen Westaufkleber auf, die an unserer Wohnungstür klebten. Als ich die Klingel betätigte, öffnete mir mein Vater, der mich nicht zu erkennen schien. Auch sah er merkwürdig alt aus. "Erkennst du mich denn nicht?" fragte ich ihn. Es dauerte eine Weile.

Aus irgendeinem Grund waren inzwischen fünf Jahre vergangen. Die Wende hatte ohne mich stattgefunden und meine Mutter war aus Gram über meinen Verlust an gebrochenem Herzen gestorben. Die Sache hatte aber auch sein Gutes. Ich war endlich volljährig, konnte meine Lebensmittel mit harten Devisen kaufen und mir selbst einen Flug nach New York genehmigen. Das war ein Traum, aus dem ich nicht mehr aufwachen wollte.

Durch den Heimatforscher Helmut Brosam, der einen der ersten Berichte über die Stahlinstadt geschrieben hat, erfuhr ich, was es mit meinem Erlebnis auf sich hatte. Er versicherte mir, es sei eine überlieferte Tatsache, dass in den Diehloer Bergen schon immer seltsame Wesen herumspukten. Auch sei bestätigt, dass der ehemalige Industrieminister Fritz Selbmann hin und wieder in den Bergen erscheine, um ein wachsames Auge auf die Stadt zu werfen, deren Errichtung er seit 1950 vorangetrieben habe. So hatte er mit dem Fällen einer Kiefer am 18. August 1950 das Startsignal für den Aufbau des Eisenhüttenkombinats gegeben.

So war es gewesen, das kann jeder lesen.

(26.09.2008@e-stadt.de)

Freitag, 26. September 2008

Lunik soll Laufhaus werden


Wie die Merkwürdige Oderzeitung in einer nicht mehr erhältlichen Ausgabe berichtet, möchte ein Investor das marode Hotel Lunik im Herzen der Stadt sanieren, um daraus Ostdeutschlands größtes Laufhaus zu machen.* Bei dem Investor handelt es sich um die englische Tittenhurst Limited, als Betreiber ist Dietrich Bockshorn aus Hamburg in Erscheinung getreten. Bockshorn leuchten die Augen, wenn er seine Pläne erläutert: "Das Laufhaus wird über drei Etagen gehen. Die Männer kommen über den Haupteingang ins Haus und bezahlen dort ihren Eintritt. Sie können sich innerhalb des Hauses frei bewegen und amüsieren und verlassen dann das Gebäude über den Auspuff."

Der Name der Einrichtung stehe bereits fest: Big Bang. Rund 40 Frauen und auch einige Männer sollen im Laufhaus Arbeit finden. Die Stahlinstädter, vor allem junge Frauen, aber auch alte Vetteln, könnten sich schon mal bewerben, ermuntert Bockshorn. Wichtig sei ein Bewerbungsfoto. "Ein Filmchen, wenn vorhanden, tut es auch."

Allerdings können Betreiber und Investor sich auf einiges gefasst machen, denn die Pläne stoßen quer durch alle Parteigräben auf einhellige Ablehnung. Die großen Volksparteien SPD und CDU befürchten Konkurrenzdruck durch die Zunahme an organisierter Kriminalität. Die in Sachen Prostitution äußerst erfahrene FDP stößt sich an der zentralen Lage des Laufhauses und empfiehlt stattdessen das Bettenhaus im Stadthafenweg zur Nutzung. GRÜNE und LINKE verurteilen die Pläne rundherum als frauenverachtend.

"Wer unsere Frauen gesehen hat – die sind nicht zu verachten!" erwidert Bockshorn, der sich gern als Kiez-König und Prinz von Frauenhausen präsentiert. "Für jeden Geldbeutel wird etwas dabei sein", verspricht er. "Ob Firmenhäupling oder Hartz-IV-Urlauber, hier wird jeder auf seine Kosten kommen. Alltagsprobleme sind danach wie weggeblasen!" Auch abendliche Hausbesuche durch Exzessbriefe verteilende Postituierte seien möglich. Die Tittenhurst Ltd. spricht gar von einem "Heilsamen Etablissement mit überregionaler Ausstrahlung".

Für den Vorsitzenden der Fürstenberger Bürstenvereinigung, den Kartographen Erich Apitz, sind das schäbige Ambitionen: "Wer schon mal in einem Laufhaus war, der weiß, wie streng es dort nach Schweiß und Desinfektionsmittel riecht. Nur testerongeladene Gymnasiasten und heruntergekommen Asoziale stehen dort Schlange."

Stahlinstadts Oberbürgermeister Rainer Werner Uhlenbusch mache sich vor allem Sorgen um den Bestand seiner Einwohnerschaft, teilte sein Sekretarius Bernd Dienst mit. Gerade erst habe sich die durch massiven Wegzüge dezimierte Bevölkerungszahl auf 30.000 stabilisiert, nun drohe im Zuge des geplanten Bordells eine Todesseuche. "AIDS ist noch immer nicht heilbar und die Zahl der an HIV (Hartz-IV) erkrankten Personen in Deutschland nimmt weiter dramatisch zu", machte Bernd Dienst deutlich. Es herrsche also Aufklärungsbedarf.

Eine Nutzung für das leer stehende Lunik müsse jedoch baldigst gefunden werden – auch da sind sich alle Parteivertreter vor der Wahl einig.

* Einige Insider gehen hingegen von einer Ente des Logbuchs Stahlinstadt aus, die darauf abzielt, Neu- und Sexgier zu wecken. Doch das nur am Rande. (Nachtrag: Bitte nehmen Sie auch die Kommentare zu diesem Beitrag zur Kenntnis.)

Foto: Ben Folded-Blind

Montag, 22. September 2008

Berufstrinker verzweifelt gesucht

Das Jobcenter Stahlinstadt bietet spezielle Umschulungen für ehemalige Berufstrinker. Wie die Leiterin des Arbeitsamtes Gerlinde Hartz-Fear mitteilte, verfüge das Jobcenter über sechzig freie Stellen, die allein gelernten Berufstrinkern vorbehalten seien. Dazu gehören Umschulungen zum Parkwächter, Weinbrandverkoster, Uhrmacher und Kranführer.

Hartmut Trinkaus und seine Frau Marlies sind die ersten, die sich für eine Umschulung zum Weinbrandverkoster eintragen. Ihrer beider Handschrift ist etwas zittrig. Sie seien eben ein wenig aus der Übung, erklärt Marlies. Schon lange hätten sie nichts mehr geschrieben. Früher, als sie beide noch berufstätig waren, seien sie sogar mal mit einer Reise nach Petuschki ausgezeichnet worden. Doch das ist lang her. Heute hinkt Marlies und hat Blessuren im Gesicht. "Alles Arbeitsunfälle", sagt sie.

Wer zu DDR-Zeiten eine Lehre zum Berufstrinker eingeschlagen hatte, der stand schon bald auf dem Trockenen, denn mit der Wende gab es diesen Beruf plötzlich nicht mehr. Die meisten Berufstrinker wurden arbeitslos, viele verschwanden als Alkoholiker in der Anonymität.

So mancher versuchte seinen Beruf zum Hobby zu machen und gesellte sich zu den Wermutbrüdern am Bauernmarkt. "Aber das ist nicht dasselbe", erklärt Karl-Heinz Rumtopp. "Es fehlen die geregelten Trinkzeiten", jammert er. Heute werde getrunken, wann man wolle und was man wolle, Regeln gäbe es keine. Eine Zeitlang habe er Absinth getrunken und das Verlangen verspürt, goldgelbe Sonnenblumen zu malen. Ein andermal habe er den Prometheus als Einmannstück auf dem Bürgersteig aufgeführt – Gelb oder Leber! –, aber keiner der Passanten habe das verstanden. Nach 15 Minuten kam die Polizei und holte ihn ab.

Für Karl-Heinz Rumtopp bedeutet diese Umschulung ebenso wie für Hartmut und Marlies Trinkaus eine letzte Chance. "Darauf trinke ich jetzt erstmal einen!" grölt Karl-Heinz in die Runde. Alle freuen sich.

Montag, 15. September 2008

Freund Blase Trübsal

Unter Freunden ernsthafter Musik ist er seit Jahren ein Unbekannter geblieben: Daniel Trübsal. Als Gründer des Sinnfonie Ohrchesters Stahlinstadt (SOS) wollen vor allem die Liebhaber experimenteller und klassischer Musik nichts von ihm hören. Vergessen sind seine Kompositionen "Schnick schnack schnuck", "Heidschibumbeidschi in D-Moll" oder "Tsching-derassa-bumm". Auch die Tantiemen für die Möbiskruger Ortshymne "Möbis in der Kruge saß und schlief" gehen auf sein Konto. Heute begeht Daniel Trübsal Selbstmord oder seinen 50. Geburtstag. Anlässlich des Jubiläums führt das Friedrich-Wolf-Theater eine einwöchige Retropektive durch.

Dabei hatte es anfänglich nicht gut ausgesehen mit der Karriere des Daniel Trübsal, denn zweimal kam er als Fehlgeburt zur Welt. Vater Hartmut war im Eisenhüttenkombinat beschäftigt und wollte darum, dass sein Sohn unbedingt ein Blechblasinstrument erlernt. Die Wahl fiel aus praktischen Erwägungen heraus auf eine Tuba, da der Sechsjährige dieses Instrument auch noch als Indianerzelt und Kanonenattrappe verwenden konnte.

Doch der junge Trübsal quälte sich mit dem Instrument. Nachbarn und Verwandte gaben Geld, damit er aufhörte zu spielen. Daraus wäre sicherlich eine gute Einnahmequelle erwachsen, wenn Trübsal nicht an Tubakulose erkrankt wäre, einer Berufskrankheit. Nun musste ein Ausweichinstrument her und Guter Rat, die Haushaltszeitschrift der DDR, war schwer zu bekommen. Da der Vater der gerade aufkeimenden Schwulenbewegung feindlich gesonnen war, schied das Blasen der Posaune aufgrund ihres Klangs schon mal aus (diese klang eben nach Po-Sauna). Ebenso das Sacksophon.

Endlich konnte sich der Sohn durchsetzen und ein Holzblasinstrument erlernen. Es war so klar wie der Ton der Klarinette, dass der Blasebalg die Oboe erwählte. Schon bald spielte er die Oboe wie ein junger Fagott. Mühelos kletterte er die Tonleitern rauf und runter und erfand nebenbei neue Goldbergvariationen. Schnell wurde er zum Vorzeigeschüler der Musikschule Stahlinstadt. Die Eltern der anderen Musikschüler waren frustriert, denn Trübsal kam immer zum Vorspiel. Mit zwölf Jahren war Daniel das erste Mal neben dem Radio zu hören, auch verschiedene Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Die zunehmende Aufmerksamkeit der Erwachsenen an seinem Talent erweckte das allgemeine Interesse der Mädchen am Tuten und Blasen. So mancher Stahlinstädter bekam infolgedessen die Flötentöne beigebracht.

Mit 18 Jahren ließ Trübsal die Klassik abrupt hinter sich. Unter dem Einfluss des Komponisten Steve Reich wandte er sich den Techniken des Minimalismus zu und begann mit der Arbeit an eigenen Stücken, zum Beispiel "Oboey" oder "Singular Song". Stipendien führten ihn nach Polyphonesien und in die Musikalische Republik Blasilien (BPM), wo er Bekannschaft mit afrikanischer Rhythmik machte und sich dem Jazz zuwandte. Zusammen mit farbigen Musikern wohnte er in einem besetzten Haus, regelmäßig kam es zu nächtlichen Jamsessions. Gern erinnert er sich an diese Zeit:

"Die Nachbarn schimpften immer und drohten mit der Polizei: Eure Musik ist zu laut, macht Malaysia!"

In den Neunzigern brachte er mehrere Platten auf den Markt. Die LPs hatten unnütz im Regal gestanden und waren nach dem Komplettumstieg auf CD nicht mehr vonnöten. Sein Plattenstand auf dem Bauernmarkt ist legendär. 1999 erfolgte die Gründung des Sinnfonie Ohrchester Stahlinstadt (SOS) als Straßenensemble. Über Jahre begleitete das SOS die Ortskontrollfahrten in der Linden Alley. Trübsals bekannteste Kompositionen stammen hauptsächlich aus dieser Periode, beispielsweise "Stiel mir den Beat vom Brot" oder "Quasi-Mode".

Feiern wir darum heute einen ganz Großen – feiern wir Lee "Scratch" Perry!

Freitag, 29. August 2008

Puschkins Märchen vom goldenen Hahn

Saß einmal, vor langen Zeiten,
Irgendwo im neunmalweiten
Zarenreich im Kreml drin
Der berühmte Zar Putin.
Einst, in seinen jungen Jahren,
Der gefürchtetste der Zaren,
Führt' er tapfer Streich auf Streich
Gegen manches Nachbarreich.
Als das Alter aber nahte,
Blieb er still in seinem Staate
Und beschloss, in Frieden nun
Nichts zu tun - als auszuruhn.
Doch die Nachbarn seines Reiches
Taten jetzt dem Zar ein Gleiches
Und bedrohten überall
Ihn mit Krieg und Überfall.
Und die Feldherrn mit dem Heere
Setzten wacker sich zur Wehre,
Stritten spät und stritten früh -
Doch vergebens war die Müh.
Stehn sie weit im Westen Posten,
Schlüpft der Feind ins Land von Osten...

Dienstag, 12. August 2008

Die Balkanisierung des Kaukasus

Das hatte sich der georgische Präsident Micheil Saakaschwili sicherlich ganz anders ausgemalt. Der starke Mann hatte das seit 15 Jahren anhaltende diplomatische Gesäusel satt und wollte nun mit Gewalt (und erhoffter Unterstützung der NATO) die Ordnung im Land wiederherstellen. Und zwar in den Grenzen, die einstmals von der Sowjetunion - sprich Russland - für Georgien festgelegt worden waren. Die Sowjetunion existiert nicht mehr, Russland und Georgien sind seit längerem selbständige Staaten.

Doch auch in Moskau regieren starke Männer mit knallharten Gesichtern. Wladimir Wladimirowitsch, ein Hijo de Putin von einem Ministerpräsidenten, sowie sein übergeordneter Untergebener Dimitri Medwedew haben den Befehl gegeben, Georgien zu überfallen, um die dortige russische Minderheit zu beschützen. Denn Moskau sieht sich als Anwalt der einst in den georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien angesiedelten Russen. Das bedeutet KRIEG.

Der Kaukasus Knaxus

Am liebsten wäre es Putin und seinen Strategen, wenn sich das georgische Südossetien dem russischen Nordossetien anschließen würde. Damit verlangt Russland etwas, was es selbst verweigert: Autonomie im Kaukasus. (Der Kaukasus ist so etwas wie der Balkan, nur ohne Jugoslawen und Albaner.) Moskau hat seit Jahren Huddeleien mit seiner Kaukasusprovinz Tschetschenien. Die Tschetschenen wollen nicht mehr zum Russischen Reich gehören und machen hierfür auch schon mal einen auf Terrorismus. Längst vorbei sind die friedlichen Zeiten, da Puschkin dichten konnte:

Ja, wahrhaft schön, bewunderswert
ist ein Tschetschene hoch zu Pferd.
Ob müßig, bei der Arbeit Hitze,
nie trennt er sich von seiner Mütze.

Doch zurück zu Georgien. Das Land, das so lebensfroh klingt, weil es an Sweet Georgia Brown und an Orgien erinnert, hat in diesem Konflikt nur eine Chance - nämlich gar keine! Russland hat das Land schon fast komplett besetzt ("nur eine Militärübung") und kann nun seine Spielregeln diktieren. Wir dürfen uns auf viele, viele Jahre mit Nachrichten über Guerillakämpfe und georgischen Terrorismus gefasst machen, denke ich. Wie viele Menschen müssen denn da noch sinnlos sterben?

Moskaus Russentheorie

Aber das ist erst der Anfang. In der Ukraine leben rund 25 Prozent Russen, in Lettland sind es beinahe 40%. Auch in Deutschland lebt eine zunehmende Zahl von Russlanddeutschen, Deutschrussen, russischen Juden und echten Russen. Zum Beispiel in Berlin und Eisenhüttenstadt. Droht uns nun die Zwangseinführung des kyrillischen Alphabets in Form von Russisch Brot? Auch hier behält sich Moskau nach internen Meldungen das letzte Wort über den Minderheitenschutz und einen atomaren Erstschlag vor... Selbst Putins Busenkumpel, der Erdgasprommi Gerhard Schröder, dürfte davon nicht begeistert sein, hatte er doch in seiner Amtszeit den atomaren Ausstieg für Deutschland beschlossen...

Was - dumme Witze? Es herrscht Krieg, Leute! Was davon ist wirklich dumm?

Freitag, 8. August 2008

Die Linden Alley


"Es gibt nichts Schöneres als die Lindenallee, wenigstens nicht in Eisenhüttenstadt; für die Stadt bedeutet sie alles. Kaum betrittst du die Lindenallee, riecht es auch schon nach Bummeln. Du hast eine dringende Angelegenheit zu erledigen und betrittst sie - du vergisst jede dringende Angelegenheit. Hier ist der einzige Ort, wo die Menschen nicht aus Notwendigkeit erscheinen. Die Lindenallee ist das allgemeine Verkehrszentrum der Stahlinstadt. Der Bewohner der Werksiedlung oder des VI. Wohnkomplexes, der schon jahrelang nicht mehr bei seinen Freunden in Fürstenberg oder Schönfließ gewesen ist, kann sicher sein, sie hier zu treffen. Kein Adressbuch und keine Auskunftei liefern so verlässliche Neuigkeiten wie die Lindenallee. O allmächtige Lindenalley! Du einzige Zerstreuung der an Spazierwegen armen Stahlinstadt...

Hier werdet ihr einem einzigartigen Lächeln begegnen, einem Lächeln, über alle Kunst erhaben. Hier werdet ihr Leuten begegnen, die sich mit einem hohen Gefühl der eigenen Würde über ein Konzert auf der Freilichtbühne oder das Wetter unterhalten. Hier werdet ihr tausend unvollstellbaren Charakteren und Erscheinungen begegnen. Ihr glaubt, dass dieser Herr dort, der in einem vornehm geschneiderten Gehrock spazierengeht, sehr reich ist? Keine Spur! Er besteht einzig aus seinem Gehrock..."

Der diese poetischen Zeilen schrieb, heißt nicht Ben Kaden. Es war auch nicht euer ergebener Erzähler Andi Leser, nein, diese Zeilen schrieb Alexander Puschkins Zeitgenosse ("Sowremennik") Nikolas Gogol. Und das bereits 1835. Allerdings über den Petersburger Newskijprospekt und nicht über die Lindenallee, und das auch noch auf Russisch und nicht auf Deutsch.

Doch was liegt näher, in einer Stadt, deren breite Straßen an russische Städte wie Magnetogorsk, Saporoschje, Minsk oder eben an Petersburg denken lassen, für russische Literatur zu schwärmen! Die Pawlowallee lädt geradezu ein, sich mit einem Buch von Bulgakow, Samjatin oder Daniil Charms ("Puschkin oder Gogol" in Fälle) einzufinden und die Olympiade als Peking-Ente abzutun. Lassen wir das Fernsehen sein, was es zu sein vorgibt: ein Kamin, der nicht wärmt (bis auf die alten russischen Modelle von Raduga). Amüsieren wir uns lieber für eine Stunde oder zwei mit Bulgakows "Teufeliaden" oder Gogols "Mantel", denn wir alle kommen vom Mantel her.

Dienstag, 5. August 2008

Priesterkönig will in Ost-Deutschland in West-Tieren

Wie die Merkwürdige Oderzeitung in ihrer aktuellen Ausgabe mitteilt, drohen Eisenhüttenstadt demnächst Investionen in ungeahnter Höhe. Dies gehe aus einem Brief hervor, den Werner Reiner vor einigen Tagen erhalten habe. Der stellvertretende Bürgermeister unterbrach eigens seinen Sommerurlaub, um den Namen des neuen Großinvestors den versammelten Journalisten bekannt zu geben.

Es handelt sich hierbei um den sagenhaften Priesterkönig Johannes, der im Morgenmantel als eine Art Sultan herrsche und über ungeahnten Reichtum verfüge. Der Priesterkönig gedenke, im Osten Deutschlands eine Manufaktur zu errichten, die Blei in Gold verwandeln könne und umgekehrt. Als möglicher Standort käme auch Eisenhüttenstadt wegen seiner bereits bestehenden Stahlmanufaktur und seiner Nähe zum Oderstrom in Frage.

Erich Apitz, der bekannte Kartograf und Vorsitzende der Eisenhüttenstädter Fürstenvereinigung, gab sich gewohnt skeptisch. Er verwies auf die Erfahrungen der vergangenen Jahre. Schon einmal habe eine Investorengruppe aus dem Morgenland (Caspar, David & Friederich) die Einrichtung einer neuen Fabrik und die Schaffung unendlich vieler Arbeitsplätze versprochen und sich dann nicht mehr gemeldet. Wie schon damals sei auch diesmal die genaue Absenderadresse nicht bekannt. Die einen nennen den indischen Suppenkontinent als Sitz des Priesterkönigs, die anderen vermuten dessen Hauptstadt Bibrich in Äthiopien.

Der stellvertretende Bürgermeister Werner Reiner bleibt optimistisch. Er feile bereits an einem Antwortschreiben, welches er einem Handelsreisenden des indischen EKO-Eigners Mittal mitzugeben gedenke. "Immerhin ist der Priesterkönig einer der ältesten und mächtigsten Herrscher der Welt, wir sollten ihm vertrauen", sagte Reiner. Laut seinen eigenen Worten sind dem Presbyter Johannes 72 Könige tributpflichtig, mehr als 365 Völker leben in seinem Reich. Dazu gehören Skiapoden, Satyrn, Vampire, Giganten, Zyklopen, Hundsköpfige, Orks, Menschenfresser, Fischesser und Mitesser. Auch leben seltene Tiere dort: weiße Panther, schwarze Eisbären, rote Löwen, Greifen, Fangen, Gottesverflucherinnen, Schildkröten, die nie sterben, Rennpfeffer, Honigskorpione, Ollifanten sowie der sagenhafte Vogel Phönix. Und wenn sie nicht ausgestorben sind, so haben sie vielleicht niemals gelebt.

Freitag, 1. August 2008

Radiowahn Karachovic vor Gericht


Damit hatte nach über zehn Jahren wohl kaum noch jemand gerechnet. Am wenigsten er selbst. Sorbenführer Radiowahn Karachović, verantwortlich für den Genitiv an der Bevölkerung von Schiedlo und Hörnchen, kommt wegen Sabine-, Michaela-, Karl-Heinz-, Petra-, Burkhard- und Volkermord vor Gericht. Das verkündete der Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs Den Reed.

Der gelernte KZ-Mechaniker und Kinderpsychologe (Abbildung dämlich) kämpfte 1995 um einen eigenständigen sorbischen Staat in der Lausitz. Hierbei war er durch besondere Grausamkeit in Erscheinung getreten und hatte unter anderem einen Waldbrand und zwei ganze Dörfer ausgelöscht. Das kleine Dörfchen Hörnchen, zwischen Fünfeichen und Möbiskruge gelegen, ist heute völlig von der Landkarte verschwunden und existiert nur noch in Flurnamen wie Hörnchenwiese, Hörnchenpfuhl und Eichhörnchen. Die Wüstung Hörnchen wurde inzwischen aufgeforstet und dient als Hutung. Auch das vormalige Afterlehen Schiedlo ist heute eine Wüstung.

Karachović stand lange Zeit unter General Verdacht, bis dieser durch eine Katzenstreubombe aus deutscher Produktion getötet wurde und Karachović dessen Posten übernahm. Der Kleinkrieg des Sorbenführers hatte seinerzeit die deutsch-polnischen Beziehungen arg belastet, denn Karachović operierte von geheimen Stellungen in Rampitz und Kloppitz jenseits der Neiße. Mitte Juli war Karachović auf deutscher Seite in Bombsdorf festgenommen worden, wo er sich seit mehreren Jahren unter dem Pseudonym Milos Milošević als Züchtiger von Heidschnucken verdingte.

Foto: Ben Nemsi

Mittwoch, 30. Juli 2008

Paulick-Saal soll erhalten bleiben


Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu vernehmen ist, wird sich die Wiedereröffnung des Friedrich-Wolf-Theaters auf unbestimmte Zeit verschieben. Grund hierfür ist das derzeit laufende Volksbegehren zur Wiederherstellung des Paulick-Saales. Die Befürworter des Volksbegehrens rechnen sich die besten Chancen aus, haben sie doch den Denkmalschutz auf ihrer Seite.

Wir erinnern uns. 2007 wurde das 1955 erbaute Friedrich-Wolf-Theater geschlossen, um die Inneneinrichtung einer Totalsanierung zu unterziehen und nach Plänen des Wolgaster Stararchitekten Michael Koolhaas ("Wenn weniger mehr ist, dann ist alles nichts.") zu erneuern. Zentrales Kernstück ist der Abriss des so genannten Paulick-Saales, dessen angeblich schlechte Akustik die Durchführung groß angelegter Schlagerveranstaltungen und volkstümlicher Festivals unmöglich macht.

Doch nun regt sich zunehmender Protest gegen den Umbau. Vor allem der Verlust des Innenraums sowie der Wandbilder von Walter Wichmann ruft Unmut bei vielen Eisenhüttenstädtern hervor. "Ich gehe seit dreißig Jahren regelmäßig ins Friwo und nun sowas", die Mitinitiatorin des Bürgerbegehrens Heidi Witzka (56) schüttelt den Kopf. Auch die Denkmalschutzbehörde pocht auf ihr Mitspracherecht.

Der Saal mit den roten Sitzen und der Holzvertäfelung war nach neoklassizistischen Plänen des Architekten Richard Paulick entstanden und gilt als ein seltenes Prunkstück früher DDR-Architektur. Der Bauhausschüler war auch an den Entwürfen zur Stalinallee und des Affentheaters im Tierpark Berlin beteiligt.

Der stellvertretende Bürgermeister Werner Reiner warnt: "Sollte das Bürgerbegehren wie erwartet positiv ausfallen, kommen auf die Stadtkasse Mehrkosten in Millionenhöhe drauf zu. Andere kommunale Einrichtungen wie der Heimattiergarten oder das Freibad in der Buchenwaldstraße müssten dann geschlossen werden." Die Fraktion der PDS zieht hierfür eine Neuverschuldung in Betracht, denn ein lebendiges Kulturleben sei nun mal nicht für umsonst zu haben.

Ursprünglich war die Wiedereröffnung des Friedrich-Wolf-Theaters für den 22. Dezember 2008 vorgesehen. Gezeigt werden sollte das Lustspiel "Die Trinker von Ephesus" aus der Feder des griechischen Dichters Xenophobios. Die weibliche Hauptrolle sollte von der britischen Schauspielerin Queen Antifáh besetzt werden. Durch den verhängten Baustopp ist dieser Termin nun hinfällig.

Das Volksbegehren ist aktuell im Rathaus einsehbar.

Foto: Ben Ehmen

Verkannter Genius: Ulrich von Hütten

Der Philosoph und Heimatforscher Ulrich von Hütten ist ein zu unrecht Vergessener. Er gilt unter anderem als Begründer der Omnipräsenz, als Entdecker der Videotexttaste an TV-Fernbedienungen und als Mitentwickler von Diafilmen.

Als neuntes von acht Kindern kam Ulli in einer Schönfließer Bergbauernfamilie zur Welt und wuchs in verhältnismäßiger Bescheidenheit auf. Um sich ein Philosophiestudium zu finanzieren, kündigte er ein Engagement bei den Freimaurern und nahm eine bezahlte Stelle als Hausmeister im neu eröffneten Kindergarten II an. Aus dieser Zeit stammt auch sein zum geflügten Wort erhobener Ausruf "Kinder! Müsst ihr denn immer spielen?"

In seiner Tätigkeit als Hausmeister sollte ihm das Schicksal schon bald zu einem bedeutenden Fund verhelfen. Bei Grabungsarbeiten im Kohlenkeller stürzte eine Mauer ein und gab den Blick auf ältere bauliche Reste frei. Ulrich von Hütten konnte in seiner Magisterarbeit zweifelsfrei nachweisen, dass es sich hierbei um mittelalterliche Siedlungsstrukturen der Stalinstadt handelte. Mit seiner Promotion "Ich und die Eisenhüttenstadt" etablierte er die Ehstetik als neue Teildisziplin der aufkommenden Hinz- und Kunzgeschichte.

Im Jahr 1946 habilitierte er mit einer Arbeit über die Notwendigkeit der Existenz einer Lehre der Bedeutungslosigkeit, die er Semidiotik nannte. Bereits 1943 war ihm durch Anomalien im Symmetrieverhalten der Semantik die Idee zu einer Grundlegung der Semidiotik gekommen, doch galt dies zu Zeiten des Nationalsozialismus als politischer Sprengstoff. Darüber gibt vor allem seine Korrespondenz mit dem Rotterdamer Posthumanisten T. O. Door (darf nicht mit dem Amsterdamer Postboten T. O. Bald verwechselt werden) Auskunft, die nahezu komplett auf Tesafilm erhalten ist.

Großes Aufsehen erregte seinerzeit die Hochzeit mit den Lee- Zwillingen, denn 1948 hatte er die siamesischen Zwillinge Pooh Lee Gami und Dub Lee Kati geehelicht. Hierdurch wurde er zum Vorreiter des Toleranzgedankens. Auch propagierte er als erster in der DDR das Konzept der freien Liebe: "Warum für Sex bezahlen, wenn man ihn gratis haben kann?"

Bedeutend ist auch sein Beitrag zur Neukodierung der Fäkalsprache. So ersetzte beispielsweise seine Wortschöpfung "Stuhlgang" die damals gängige Formulierung "Abkacken", die mittlerweile eine neue Bedeutung erlangt hat. Sein Alternativvorschlag "Kloalette" für "Scheißhaus" konnte sich hingegen nicht durchsetzen.

Umstritten war bis zuletzt sein 550 Seiten umfassender Essay "Reichtum macht nicht glücklich", welchen er als Wurfsendung zeitgleich über Berlin-Dahlem und Baden-Baden abwerfen ließ, woraufhin zwei Neureiche mit Kopfschmerzen in Kliniken eingeliefert werden mussten. Die Kernfrage seiner Thesen lautete: "Wenn man Geld nicht essen kann, wovon leben dann Multimillionäre?" Sein damaliger Kollege, der angesehene Professor für Früh- und Spätgeschichte Heimar Frauenplan, staunt noch heute: "Auf diese Fragestellung muss man erstmal kommen!"

Zum Ende seines Lebens wurde es dann ruhiger um seine wissenschaftliche Karriere. Statt dessen tat er sich in seinen Sechzigern und Siebzigern als geistreicher Verfasser von unzähligen Aphorismen und Kalauern hervor. Aus seinem Ouevre bedienten sich immer mal wieder so bekannte Nachkriegshumoristen wie Robert Gernhardt, Karl Valentin und Wilhelm Busch.

Im dankbaren Alter von 81 Jahren starb Ulrich von Hütten an Herzversagen und hinterließ eine vierköpfige Familie samt zweiköpfiger Ehefrau. 1993 gab es Bestrebungen, ihn posthum zum Ehrenbürger von Eisenhüttenstadt zu ernennen. Das Vorhaben scheiterte jedoch in der Stadtverordnetenversammlung an Nichtbeachtung. Diese Vorgehensweise ist immer mal wieder Anlass für obskure Verschwörungstheorien in der Bürgerschaft. Die einen geben den anderen die Schuld, die anderen tun dies ebenso.

Am 31. Juli 2008 wäre der genialste Denker der Stadt einhundert Jahre alt geworden, wenn er denn noch leben würde. Das Logbuch Stahlinstadt hält die Erinnerung an diese Geistesgröße lebendig und benennt einen Eintrag nach ihm.

Sonntag, 13. Juli 2008

Tempel der Kosmetik


Nahezu unverändert steht dieses Haus samt Funktion in der Magistrale, hinter dem Hotel Lunik. Während sich ringsum die Fassaden dem Zeitgeist anbiedern, blieb der Tempel der Kosmetik seit 20 Jahren derselbe.

Logbuchführer Andi empfiehlt: "Bleib so, wie du bist!"

Samstag, 12. Juli 2008

Das Deutsche Haus


Vier Deutschlandfahnen zählte ich an diesem Wohnblock in der Fritz-Heckert-Straße. Dabei war die EM schon vorbei. Die schwarzrotgoldenen Fahnen wehen wohl schon für Olympia.

Sonntag, 6. Juli 2008

Licht am Ende des Tunnels


Hier mal etwas der Jahreszeit entsprechendes und typisches. Als in Hütte 40 Grad im Schatten herrschten ("Wer sagt denn, dass wir im Schatten arbeiten?"), drängte es diese junge Frau raschen Schrittes ins Licht. Mehr dazu weiß ich leider nicht.

Samstag, 5. Juli 2008

Schatten am Ende des Tunnels


Das EH-Blog hatte neulich in der Rubrik "Verlorenes und Übersehenes in Eisenhüttenstadt" ein Motiv, dass mich doch sehr bewegt hat. Sogleich packte mich der Neid und dann der Ehrgeiz, es dem Blogbuster Ben gleich- und besser zu machen. Und das ist dabei herausgekommen.

Ob Ben nun auch neidisch wird?

Freitag, 30. Mai 2008

Dagstur nach Eisenhüttenstadt


Jüngst hatte Berlinblogger.no die Eisenhüttenstadt besucht und über den Stadtbesuch einen Blogeintrag verfasst, auf Norwegisch. Der Eintrag stammt übrigens vom 27. Mai, einem Dienstag, an dem ich selbst mit einer Gruppe amerikanischer Studenten aus St. Louis (und nicht St. Lois!) in der Stahlinstadt unterwegs war. Vielleicht sind wir sogar aneinander vorbeigelaufen? Gott allein weiß es. Jedenfalls ist die Stadt immer wieder einen Ausflug wert, nur die Bürger selbst haben es noch immer nicht kapiert (Stichwort: Stadtmarketing & Souvenirs).

Den ersten Absatz des Blogeintrags hatte ich bereits gestern ins Deutsche übertragen. Da mir Berlinblogger.no freundlicherweise die Erlaubnis erteilt hat, auch den Rest des Eintrags zu übersetzen, folgt heute das Gesamtkunstwerk in sechs Absätzen:

1. Wenn du den Zug nimmst, der Berlin alle halbe Stunde in südöstlicher Richtung verlässt, gelangst du an den Oderfluss an der Grenze zu Polen. Hier gibt es eine besondere und interessante Stadt, die Eisenhüttenstadt heißt. Es ist eine sozialistische Idealstadt, die in den 50er und 60er Jahren errichtet wurde. Im Großen und Ganzen sieht sie noch so aus wie vor dem Mauerfall von 1989.

2. Der Name bedeutet "Schmelzhüttenstadt". Er leitet sich vom parallel errichteten Stahlwerk ab, welches die Hauptarbeitsstätte der Bewohner war. Bis 1961 hieß die stadt Stalinstadt. Zu diesem Zeitpunkt wurden ältere Ortschaften eingemeindet und der neue Name der "Metropole" mit einer Einwohnerzahl von 40.000 lautete Eisenhüttenstadt.

3. Die Architektur war anfänglich typischer Klassizismus der Stalinepoche, vergleichbar mit der Karl-Marx-Allee in Berlin. Ab den sechziger Jahren wurden wie überall in der DDR eine Reihe von Plattenbauten hochgezogen. Der Stadtplaner Kurt Walter Leucht bestimmte das Design der Stadt.

4. Obwohl das Stahlwerk seit langem privatisiert und rationalisiert wurde, obwohl sich selbst Burger King in der Hauptstraße angesiedelt hat, gibt die Stadt immer noch einen seltsamen, interessanten und vermutlich auch etwas wehmütigen Blick frei auf eine Welt, die wohl nicht so geworden ist, wie man einst dachte, dass sie werden würde.

5. Die Stadt wurde mit Hauptaugenmerk auf Weh und Wohl der Arbeiter in einer kommunistischen Idealstadt erbaut, und das spiegelt sich in der Architektur und der Planung wider. Straße und Plätze sind mit mehr oder weniger ideologisch konformen Skulpturen geschmückt. In der Stadt gab es bis 1990 keine Kirche.*

6. In Eisenhüttenstadt befindet sich passenderweise das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, welches die Alltagskultur in der ehemaligen DDR dokumentiert.

Danke für den Text und die Erlaubnis zur Übersetzung, lieber Berlinblogger.no. Tack så hemskt mycket!

* Halt, das stimmt nicht, denn es hat von Anbeginn eine Kirchengemeinde gegeben, das Gemeindezentrum wurde 1981 eingeweiht. Allerdings hatte es die Kirchengemeinde wie allerorten in der DDR nicht so einfach.

Donnerstag, 29. Mai 2008

No way from Norway?


Ben, der gewiefte Blogbuster, hat wieder einmal ein kosmopolitisches Nugget aus der Blogosphäre heraus gewaschen. Vat fint! Im aktuellen Posting bezieht er sich auf ein norwegisches Zitat, welches er beim Berlinblogger.no entdeckt und seinem eigenen Eintrag vorangestellt hat:

"Hvis du tar toget halvannen time sørøst fra Berlin havner du ved elven Oder, på grensen mot Polen. Her ligger et spesielt og interessant sted som heter Eisenhüttenstadt. Det er en sosialistisk idealby, som ble oppført på 1950- og 60-tallet. Fremdeles består den i all hovedsak som den gjorde før muren falt i 1989."

Nur leider beherrscht Ben die Sprache der Wikinger nicht und rätselt "mit dürftigsten Kenntnissen der skandinavischen Sprachfamilie" über dessen Inhalt. Es geht also um Eisenhüttenstadt. Aha. Euer geschätzter Erzähler Andy Leser jedoch spricht einen verwandten Wikinger-Dialekt superfließend, der nennt sich Schwedisch. Hier mein Translationsversuch:

"Wenn du den Zug nimmst, der Berlin alle halbe Stunde in südöstlicher Richtung verlässt, gelangst du an den Fluss Oder, an die Grenze nach Polen. Hier gibt es eine besondere und interessante Stadt, welche Eisenhüttenstadt heißt. Es handelt sich um eine sozialistische Idealstadt, die in den 50er und 60er Jahren errichtet wurde. Im Großen und Ganzen sieht sie noch so aus wie vor dem Mauerfall von 1989."

Dass das so nicht stimmt, soll obiges Foto beweisen (zum Vergrößern bitte aufs Bild klicken, danke). Dafür finde ich es gleich dreifach schön, dass mal jemand aus Norwegen diese Stadt besucht. Mycket bra! Det vore bra att träffas en gång i den här staden!

Louis vs Lois, Luis und Lewis


ZUR INFO: Es ist ein Kreuz mit der Rechtschreibung, auch Orthografie, also Lehre vom richtigen Schreiben, genannt. Da werden ständig die Regeln geändert, dass es keine Freude ist und die Bild-Zeitung ernsthaft darüber nachdenkt, ihrem Namen alle Ehre zu tun und auf Texte völlig zu verzichten. 1904 gab es eine Rechtschreibreform, 1996 die nächste einschließlich der Überarbeitungen von 2004 und 2006.

Aber Saarlouis wurde schon immer so geschrieben: Saarlouis. Zwei Worte: Saar wie der deutsch-französische Fluss und Louis wie der Name.

Auf der Hinweistafel am Fürstenberger Arboretum steht es wieder einmal falsch: "Saarloiser Straße". Ist ja auch nicht so leicht. Vielleicht dachte der zuständige Verantwortliche einfach an zwei Flüsse: Saar und Lois. Lois ist der längste Fluss Osttimors, die gedankliche Verbindung Osttimor-Ostdeutschland ist also nicht ganz so weit hergeholt.

Es wird der Tag kommen, an dem wird ein anderer assoziativ begabter Mensch beim Anblick Eisenhüttenstadts an "Alice im Wunderland" und dessen Autor Lewis Carroll denken und in traumhafter Verzückung Saarlewiser Straße schreiben. Saar wie der Fluss und Lewis wie die englische Schreibweise von Luis.

Ein Vorschlag zur Güte: Um die Sache zu simplifizieren kann man auch gleich komplett eindeutschen und in Analogie zu Ludwigslust oder Ludwigshafen Saarludwig schreiben. Ist ja sowieso ne deutsche Stadt. Klingt zwar irgendwie Rotze, Saarludwiger Straße, aber was will man machen?

Donnerstag, 8. Mai 2008

Da staunte Konrad Wachsmann: Ein Friedrich-Wolf-Theater in der Stalinstadt?


Bereits an anderer Stelle hat das Logbuch Stahlinstadt eine Passage aus dem Wachsmann-Report zitiert, die sich mit Eisenhüttenstadt beschäftigt. Jetzt gibt es neue Fertignahrung für die Bildungshungrigen unter Euch Lesern.

Der in Frankfurt an der Oder geborene Architekt Konrad Wachsmann musste während der Nazi-Diktatur in die USA ins Exil gehen und besuchte 1979 die DDR. Der Wochenpost-Redakteur Michael Grüning plante ein Interview (welches sich dann zur wahren Auto-Biografie ausweitete, dem "Wachsmann-Report") und begleitete Wachsmann auf seiner Rundreise durch Ostdeutschland, die ihn auch zur Stippvisite nach Hütte führte.

Zu den Teilen, die während der DDR-Diktatur (Ja, es war eine!) nicht erscheinen durften, äußerte sich Grüning in einer Neuausgabe seines Buchs 2001 - im Epilog II: Vom schwierigen Umgang mit der Wahrheit. Darin geht es vorangig um kritische Exil-Erfahrungen, die Wachsmann mit Exilanten machen musste, die später in der DDR hohe Posten bekleideten, wie zum Beispiel Walter Ulbricht, Alexander Abusch oder Kurt Liebknecht. Darin habe ich folgendes entdeckt:

"Unveröffentlicht, aber unvergessen ist auch eine andere Erinnerung von Konrad Wachsmann, die möglicherweise zu unvorstellbaren Konsequenzen geführt hätte. In Eisenhüttenstadt, dem früheren Stalinstadt, erinnerte er sich beim Vorbeifahren am Friedrich-Wolf-Theater an den Dramatiker und Arzt, der im Kulturleben der Weimarer Republik zu den bekanntesten Persönlichkeiten gehört hatte und dessen 1934 in Zürich unter dem Namen "Professor Mannheim" uraufgeführtes Drama "Professor Mamlock" weltberühmt geworden ist. Nach der Premiere im Zürcher Schauspielhaus hatte es von Nazis angezettelte Krawalle gegeben, durch die das Drama über Nacht auch für internationalen Gesprächsstoff sorgte. Wachsmann hatte den Dramatiker aber bereits in Deutschland kennengelernt und war ihm im Exil wiederbegegnet [...]

Vor dem Friedrich-Wolf-Theater in Eisenhüttenstadt berichtete Wachsmann, dass Friedrich Wolf große Angst davor gehabt hätte, wieder in die Sowjetunion zu gehen, obwohl seine Familie (z. B. Konrad und Markus Wolf) in Moskau lebte. Viel lieber wäre er in die USA emigriert, die ihm jedoch kein Visum erteilt hätten.

Von Lion Feuchtwanger habe er später erfahren, dass Friedrich Wolf in der Sowjetunion schon früh zu den extrem gefährdeten Personen gehörte und deshalb 1938 nach Spanien wollte, dann aber in Frankreich bleiben musste. Wachsmann fand es deshalb kurios, ausgerechnet in der früher nach Stalin benannten Stadt ein Friedrich-Wolf-Theater vorzufinden."

Dazu muss ich erwähnen, dass unter Stalins Herrschaft viele Exilanten plötzlich "verschwanden" oder in sibirische Lager kamen. Friedrich Wolf drohte wohl ein ähnliches Schicksal, dem er jedoch entgangen ist, denn er starb 1953 kurz nach Stalin in der DDR.

Dienstag, 22. April 2008

Die Straßen von San Stalinstadt


Wenn man sich mal die Straßennamen auf den Straßenschildern an den Straßenkreuzungen ohne Straßenkreuzer ansieht, merkt man als geschulter Ossi sogleich: Hier befinde ich mich im Osten.

An jeder Ecke wird man an einen sozialistischen oder kommunistischen Heiligen oder Märtyrer erinnert, außer man gehört zu den Eiligen im Mehrtürer, die in Hochgeschwindigkeit und ohne den Blick fürs Detail die Ostküste entlangkacheln, um den Aufschwung zu schaffen.

In der als "sozialistisch" gegründeten Stadt, deren Straßennamen das damals neue und heute veraltete Weltbild widerspiegeln, verweist auch heute noch vieles auf die Lichtgestalten von anno dunnemals. Karl Marx trifft sich mit Friedrich Engels, Rosa Luxemburg mit Karl Liebknecht, Clara Zetkin mit der Republik.

Zur vergrößerten Ansicht bitte aufs Bild klicken. Danke.

Fotos+Montage: Hoppel

Freitag, 1. Februar 2008

Wie geht's?


"Auf die Frage: Wie geht's? kann man mit voller Kraft antworten: Einfach prachtvoll, ich hab mir heute einen neuen Hut gekauft. Und ein ganzes Land kann sich, wenn es darauf ankommt, neue Straßen bauen oder ganz neue Städte mit Palästen und Fußgängerzonen, kann sich neue Automobile beschaffen, die die neuen Straßen verschönern. Und die Zeitungen lässt man schreiben: Uns geht es gut, das sieht man doch. Wir haben gerade eine neue Stadt fertig! Man muss das alles nur einigermaßen oft wiederholen, je öfter, desto besser, und es wird Erfolg haben, sogar auf die Dauer. Sobald die anderen einem glauben, ist man sehr geneigt, sich selbst zu glauben, und das ist schließlich der Zweck."

Diese Zeilen stammen nicht von mir, sondern vom Schriftsteller Ulrich Plenzdorf, aus seiner "Legende vom Glück ohne Ende", verfilmt und berühmt geworden als wohl beliebteste Liebesgeschichte der DDR: "Die Legende von Paul und Paula". Man kann nur spekulieren, auf welche Bautätigkeiten sich dieses mit kritischem Unterton beladene Zitat bezieht, denn Namen werden nicht genannt. Meinte der Erzähler Eisenhüttenstadt? Schwedt? Oder Hoyerswerda? Das Wort "Paläste" erinnert zumindest an die Arbeiterpaläste in Stalinstadt und der Berliner Stalinallee. Klar ist lediglich, dass die Handlung in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg angesiedelt ist, vermutlich zu Beginn der sechziger Jahre, denn da konnte man noch ungehindert nach Westberlin fahren, wie Paul in dem Buch.

Die Geschichte von Paul und Paula selbst spielte sich in Ostberlin ab, genauer in der Singerstraße im Friedrichshain. In dieser Straße stehen sich alt und neu baulich gegenüber: auf der einen Seite Altbauten, die gerade erst den Krieg überdauert haben und nun auf den volkseigenen Abriss warten. Da wohnt Paula mit ihrer Tochter. Auf der gegenüber liegenden Seite stehen bereits moderne Neubauten. Da wohnt Paul mit seiner Frau. Im Film ist das schön zu erkennen, schmutzige aber heimelige Häuser hier, helle aber unsympathische Plattenbauten dort.

Auf unsere Stadt bezogen könnte man sich da so ein Areal vorstellen wie dort, wo Fürstenberg an den VII. Wohnkomplex heranreicht. Die Fischerstraße vielleicht oder die Gubener oder auch die Platanenallee. In den Achtzigern mussten dort einige Altbauten in die saure Abrissbirne beißen, weil der Plan das so vorsah.

Ich selbst entsinne mich, an einem Sonntagnachmittag auf dem Dach eines dem Abbruch geweihten Mehrfamilienhauses in der Gubener herumgeturnt zu sein. Mit kindlicher Freude an der erlaubten Zerstörung entfernte ich von einem Schornstein die Ziegelsteine, um sie sogleich durch den senkrechten Schacht zu entsorgen. Der abwärts rasende Stein erinnerte mich an eine Rohrpost, das Geräusch dazu war ein dumpfer, erdiger Ton. Manche Steine verkanteten sich beim Anecken innerhalb des Schornsteins und blieben auf halber Höhe stecken. Ich musste nachhelfen, indem ich einen weiteren Stein hinterher sandte. Dann verdoppelte sich das Geräusch. Wenige Wochen später war der Schornstein samt Haus verschwunden, plattgemacht.

Heute nun müssen diejenigen Häuser, die damals in den Achtzigern errichtet wurden, vom Erdboden verschwinden. Ebenso von der Erde verschwunden ist der Autor Ulrich Plenzdorf, der uns noch weitere Klassiker wie "Die neuen Leiden des jungen W." oder kein "kein runter kein fern" hinterlassen hat. Plenzdorf ist leider im August 2007 verstorben. Damit er nicht auch aus dem Gedächtnis verschwindet, schrieb ich diesen Text und empfehle hiermit die erwähnten Bücher zur Lektüre.