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Freitag, 29. Dezember 2006

Hinter den Kulissen von Hüttenstadt: Icke & die Ickert


Was für ein Weihnachtsgeschenk – und das vier Tage vor Heiligabend. Am 20.12. erlebte die hochaktuelle Dokumentation "Hüttenstadt. Ein Film von Johanna Ickert" in den privaten Räumlichkeiten der Filmemacherin vor mit Neugier geladenen Gästen ihre fulminante Premiere. Dank eines launischen Projektors warf die Stahlarbeiterstadt sowohl Licht als auch Schatten auf die Berliner Wände. Obwohl eher dem Zufall geschuldet als einer geplanten Maßnahme entsprungen, konnte die Premiere in der Hauptstadt an keinem besseren Ort stattfinden als hier: das Hochhaus an der Weberwiese und die Arbeiterpaläste der Stalinallee befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft und erzeugten durch ihre Architektur auf dem von winterlicher Dunkelheit begleiteten Hin- und Rückweg bei euerm ergebenen Erzähler das merkwürdige Gefühl, sich in Wirklichkeit in einem bisher unbekannten Areal der ersten drei Wohnkomplexe von Eisenhüttenstadt zu bewegen.

Unter den Anwesenden, die auf der Premiere Mäuschen spielen durften, waren auch Ben die Ratte und das o so possierliche Opossum Alf. Vier Monate aufwendiger Arbeit stecken in dem einstündigen Filmchen, den die angehende Ethnologin im Rahmen des Studienseminars "Frauenalltag im östlichen deutschen Osten" am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin anfertigte. Im August 2006 hatte Johanna via E-Mail Kontakt zum Verfasser dieser bescheidenen Zeilen aufgenommen. Telefonnummern wurden ausgetauscht und eine Verabredung ausgemacht. Unser erstes Rendezvous hatten wir am ersten Tag des Stadtfestes, einem sommerwarmen Freitag, im Club Marchwitza in den Diehloer Bergen. Johanna hatte sich für die Zeit ihres zehntägigen Aufenthaltes in der dortigen Künstleroase einquartiert. Auf der Terrasse des Clubs fand dann das Interview statt, dass auszugsweise in der Doku zu hören und zu sehen ist. Wir waren uns sofort sympathisch (wie kann man Johanna nicht mögen?) und beschlossen daraufhin, gemeinsam aufs Stadtfest zu gehen, wo auch einige der verwendeten Aufnahmen entstanden. Während sich unsere moderne Leni Riefenstahlin wacker mit der Kamera ins Menschengetümmel stürzte, trottete ich, Sergej Eisengestein, ihr Stativ und Schlüsselbund tragend hinterher.

Das zweite Mal trafen wir uns dann, kurz nur, am Sonntag, zum Ende des Stadtfestes. Johanna hatte ihr Material im Kasten und wollte die Stadt, die ich soeben aus Funkfurt kommend erneut betreten hatte, mit Sack+Pack in Richtung Berlin verlassen. Dort angekommen simste sie mir sogleich euphorisch: "Bin körperlich unversehrt gelandet und fühle mich mit der Aufgabe konfrontiert, ein riesiges Eisenhüttenstadtei auszubrüten. Also ab aufs Stroh." In der Zeit ihrer viermonatigen Schein-Schwangerschaft (die Filmproduktion diente schließlich zum Scheinerwerb an der Uni) hielt euer ergebener Erzähler losen aber herzlichen Kontakt zur brütenden Jungregisseuse, für deren digitales Kind er allmählich väterliche Gefühle entwickelte. Bei meinen Kurzbesuchen fütterte ich Johanna mit aufgewärmten Tonkonserven (Mariachis feat. Ivo Lotion, RE1-Zugansage, Reimgeschwader), die nun am Anfang und zum Ende des Films zu hören sind. Der Filmtitel "Hüttenstadt" leitet sich übrigens von dem gleichbenamsten Lied der Hip-Hop-Formation Reimgeschwader her.

In den knapp zwei Wochen ihres Aufenthaltes in der "Ersten Sozialistischen Stadt Deutschlands" hat unsere tapfere Ethnologin ganze Arbeit geleistet. Ob Junge oder Alte, Eingeborene oder Exilanten, Stadtplaner oder Lokführer, überzeugte Genossen oder genüsslich Überzeugte – Johanna hat sie alle vor die Linse bekommen. Anhand des Gesagten entsteht somit ein repräsentativer Querschnitt aktueller Befindlichkeiten Eisenhüttenstädter Bewohner. Auffällig ist die allseits vorherrschende depressive Grundstimmung der Befragten, die sich fast durchweg kritisch zu ihrer Stadt äußerten. Andreas Ludwig, Leiter des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR, redet gar so leise, als hätte er schon resigniert und nicht mehr die Kraft etwas laut auszusprechen. Ursula Krüger, die dagegen laut ausspricht, was sie denkt, versteht die Welt nicht mehr: "Wie konnte ein Staat, der so viel Soziales für seine Menschen geleistet hat, so sang- und klanglos untergehen?" Gemeint ist die DDR. Und dann äußert sie etwas, das den Wunsch nach misslungener Verdrängung artikuliert: "Ich habe mir mal geschworen - das ist schon ein paar Jahre her - nie mehr über die Vergangenheit zu reden." Doch von der leuchtend roten Vergangenheit, die auch ein Teil der persönlichen Vergangenheit ist, kommt sie wie viele andere Eisenhüttenstädter nicht los. Zu schön erscheint das sozialistische Abendrot in der Erinnerung im Vergleich zur vernebelten Morgendämmerung der neuen Zeit.

Ganz klar: Eisenhüttenstadt hat eine Identitätskrise. Was fehlt sind Visionen jenseits der materialistischen Konsumwelt. Sozialismus und Volkseigentum sind nicht mehr, doch was tritt nun an deren Stelle? Die Beantwortung dieser Frage steht noch aus. Der bisher vom Staat verwöhnte Eisenhüttenstädter möchte auch weiterhin mit Subventionen gefüttert werden, Eigeninitiative wird kritisch beäugt und Verantwortung auf "die da oben" abgewälzt. Sind wir überhaupt ein lebensfähiges Gemeinwesen?

Was macht unsere hochgeschätzte Nachwuchsregisseuse, die den Stadtbürgern auf so originelle Art den Eisenspiegel vors Gesicht gehalten hat, im neuen Jahr? Sie macht sich auf in die nächste Stadt, diesmal eine richtige Metropole, wo sie drei Monate verbringen wird: London. Wir wünschen Johanna Ickert auf ihrem weiteren Lebensweg alles Gute!

Ein überausführliche Rezension des Films "Hüttenstadt" gibt es hier.

Freitag, 15. Dezember 2006

Adventszeit im VI.

Nicht nur die viel beachtete Lindenallee, nee, auch die Fröbelpassage ist derzeit weihnachtlich geschmückt. Ich war richtig gehend überrascht, als ich dieses Wohngebietszentrum im Dunkeln durchschritt. Dabei entstand diese stimmungsvolle (keine Widerrede!) Aufnahme. Im Übrigen wird derzeit als "Bild des Monats" Dezember eine gelungene Nachtaufnahme aus der Stahlarbeiterstadt gesucht (siehe ooch hier). Die am Wettbewerb teilnehmenden Fotos müssen in die extra dafür eingerichtete Flickr-Group verschoben werden. Hierzu müsst ihr allerdings über ein Flickr-Konto verfügen. Zur Abstimmung braucht ihr lediglich eure liebsten Bilder als Favoriten kennzuzeichnen. Das Foto, das die meisten Favoritensterne vorweisen kann, hat dann gewonnen. Dieses schicke Bild läuft leider außerhalb der Wertung...

Dienstag, 12. Dezember 2006

Montagsdemo in Hütte

Dieses bedrückende Foto von einer Gruppe vorpreschender Bürger gelang einem unserer Korrespondenten gestern abend (18:30 Uhr) unter Einsatz seines unwerten Lebens bei einem zufälligen Bummel durch die Lindenallee. Wir sehen Werktätige dichtgedrängt beisammen auf einer Demonstration. Rote Fahnen werden geschwungen. Transparente, auf denen die DDR zurückgesehnt wird, hochgehalten.

Haben wir dafür 1989 den König geköpft und die Königin vergiftet? Frisst die Revolution doch ihre eigenen Kinder und erbricht sie wieder? Wo soll das alles noch hinführen? Die einzig richtige Antwort bitte als Kommentar.

Sonntag, 10. Dezember 2006

Bild des Monats November

Der Obelisk
Das Bild des Monats November ist beschlossene Sache. Wir rufen es uns noch einmal ins Gedächtnis: Am 9. November 2006 wurde (vermutlich unter dem Eindruck des historischen Datums) der Obelisk auf dem Platz des Gedenkens zum Motiv des Monats ausgerufen. Mit einer wieder einmal hauchdünnen Mehrheit von nur einer einzigen Stimme - ich fühlte mich spontan an die Wahl Konrad Adenauers zum Bundeskanzler am 15. September 1949 erinnert - wurde das Bild mit dem Titel "Der Obelisk" von Fotofreund ehst-tick vom Lesermob ausgewählt (siehe auch hier). Ich persönlich hätte ja eher diesem oder jenem den Vorzug gegeben - aber was soll's.

Das Sepia-farbene Foto betont vor allem die Höhe des Obelisken und zeigt recht deutlich die deutsche Inschrift: "Ewiger Ruhm den Helden, die im Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit unserer Heimat gefallen sind." Im oberen Bereich ist ansatzweise das Sowjetische Staatswappen zu erkennen.

Die am 7. November 1951 eingeweihte Gedenkstele ist jedoch nicht allein ein Ehrenmal für die im Kampf gefallenen Rotarmisten, sondern vor allem ein Grabstein für die rund 4.000 russischen Kriegsgefangenen, die im nahe Fürstenberg gelegenen Kriegsgefangenenlager Stalag III B ihr Leben lassen mussten. Die Toten, die durch die Hitlerdiktatur sterben mussten, galten für die Stalindiktatur ihrerseits als Verräter, denn sie hatten "auf Leben und Tod zu kämpfen" und durften sich niemals der Gefangennahme ergeben. Stalin war in dieser Sache so konsequent und rigoros, dass er nicht einmal seinen eigenen Sohn aus der deutschen Gefangenschaft auslösen wollte.

Darum sei an dieser Stelle der Opfer politischer Gewaltherrschaften gedacht, ob man sie nun als rechts (Hitler, Mussolini, Franco) oder als links (Stalin, Mao, Pol Pot) bezeichnen möge. Ihnen allen ist dieser Beitrag gewidmet.

Mittwoch, 6. Dezember 2006

Eisbärenstadt

Alle, die heute morgen hektisch in ihre Stiefel gefahren sind und dabei ein paar Schokoladenhohlkörper zertreten haben, werden es bereits wissen: Es ist Nikolaustag. Darum schiebe ich der gesamten Leserschaft des Logbuch Stahlinstadt - meiner Family - heimlich dieses schicke Foto in die Schuhe. Es zeigt den völlig vereisten und mit Rauhreif überzogenen Nordpol auf Axel Schulzens Erdkugel in der Erich-Weinert-Allee, direkt vor dem Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (DOK). Man errät's: Das Foto stammt aus einem anderen Winter, in diesem Jahr sind Nordpol und Eisbären vermutlich bereits geschmolzen (siehe hier).