Ute sacht: Gute Nacht!
Anlässlich der Re:publica, dem Ferienwochenende der deutschen Bloggerinnen und Blogger, hat das Inforadio meinen guten Spielkameraden und Blognachbarn Ben aufgesucht. Um mit ihm ein Interview über die Stadt zu machen, die wir alle so liebhaben. Das Interview steht leider nicht mehr online, zumindest scheiterten meine Aufrufversuche kläglich. Am Ende sagte Ben etwas, dass mich sehr hellhörig werden ließ. Er meinte etwas von einer Müdigkeit, die ihn bezüglich des Bloggens über, um und aus Eisenhüttenstadt erfasst habe, obwohl das allgemeine Interesse so groß sei wie nie zuvor. Mit diesem Gefühl ist er nicht allein.
Es war im Frühjahr des Jahres 2006, als das "Eisenhüttenstadt-Blog – Weblog für eine alternative Stadtwahrnehmung" auf Sendung ging. Zwei Wochen später kam mir durch eine plötzliche Eingebung dieselbe Idee und ich gründete ohne Wissen des anderen das "Logbuch Stahl(in)stadt" – ein Weblog über na-was-wohl. Damals muss etwas in der Luft gewesen sein, was ich mit akuter Bloggeritis bezeichnen möchte, denn Blogs schossen wie Shiitakepilze aus der Borke. Von Beginn an kooperierten beide Blogs miteinander.
Ben und Andi, wir warfen uns die Bälle hin und her, gingen gemeinsam auf unzählige Foto-Stadt-Safaris, planten planlose Stadtführungen durch die Planstadt, tauschten uns rege über die Geschichte der Stadt und eigene Kindheitserinnerungen aus und machten sogar eine Exkursion nach Hoyerswerda, der zweiten sozialistischen Planstadt der DDR, ein städtischer Albtraum. Wir dichteten und kalauerten, bis unsere Gehirne glühten und telepathische Druckwellen ins Stadtzentrum schickten. Wir neckten, stritten und vertrugen uns. Wir initiierten Fotowettbewerbe auf Flickr und Infoduelle auf unseren Blogs. Nebenher entstand ein kleines Stadtwiki namens Wikihüttenstadt, das immer noch seiner Fertigstellung harrt. Auf diesem Weg geht übrigens ein herzliches Dankeschön an Silvio Kunze, der die technischen Grundlagen des Wikis und manch anderer Sachen bereitstellte und die meiste Zeit unsichtbar im Hintergrund wirkte. So haben wir uns gegenseitig angespornt, Rückkopplung durch Feedback, und ich bin erst dadurch soweit gekommen, bis hierhin, aber nicht weiter.
Auch wenn ich mal behauptet habe, der Schreibstoff würde nicht ausgehen, da die Unendlichkeit in jedem kleinen Krümel Hausputz stecken würde, hatte ich bald das Gefühl, alles über Eisenhüttenstadt gesagt und geschrieben und jeden Winkel der Stadt aus allen Winkeln der Stadt fotografiert zu haben. Langsam wurde ich des Themas müde, meine Aufmerksamkeit verschob sich mehr zu anderen Dingen. Mehr als einmal habe ich alles hingeschmissen, das erste Mal schon ein Jahr nach Gründung des Log-/Lobbuches. Mittlerweile erscheint mir Eisenhüttenstadt ferner als Kafiristan, Baktrien oder Trapezunt; ferner interessieren mich mittlerweile andere Planstädte viel eher, da sie neue ästhetische Reize bieten. Im März 2010 weilte ich das erste Mal in Neuruppin und Neustrelitz, zwei geplante Hausansammlungen. Die eine klassizistisch, die andere eine barocke Stadtanlage. Wenn man im seltsam schönen Neustrelitz vom Kirchturm herunterschaut, dann bietet sich einem übrigens dieser schicke Kreisverkehr auf dem Foto oben dar.
Um es kurz zu machen: Eisenhüttenstadt! Es war eine schöne Zeit, es ist eine schwere Zeit und es wird langsam Zeit, Abschied zu nehmen. Ich mache es der Tunnelstraße gleich und verschwinde von hier. Tschüs Ben! Tschüs Leser! Tschüs Hütte, altes Haus! Vielleicht mache ich demnächst ein Blog über "Pornografie und Grammatik in Afghanistan" oder "Heilserwartungen in Ernährungsfragen" oder "Die Novalis-Rezeption im Jamaica-Reggae" oder anderen kulturwissenschaftlichen Unsinn. Vielleicht aber auch nicht. Mein Tipp: Schaltet bis dahin die Rechner aus und begebt euch zur Abwechselung an die frische Luft! Fahrt nach Neuhardenberg und Neubrandenburg, nach Bad Freienwalde und Bernau! Besucht die Reuterstadt, die Fontanestadt oder die Kleiststadt! Raus mit euch! Adé!
Foto: Alessandro Minutoli