Futur I & II
Die Nazis demonstrierten in Frankfurt (Oder), die Demokratie spielte Krieg und die Februarsonne strahlte trotz allem in den Januar hinein – Gründe genug, diese Stadt mit dem Zug zu verlassen und der friedenstauben Eisenhüttenstadt einen Besuch abzustatten. Nachdem sich die Bahn entschlossen hatte, den „Fehler im Betriebsablauf“ zu beheben und endlich loszukutschen, traf euer ehrenwerter Erzähler nach alter Westernmanier zum High Noon auf dem Fürstenberger Bahnhof ein, wo schon der Wortkünstler Ben auf der Kalauer lag, um mich in Empfang zu nehmen. Zusammen tollten wir ausgelassen wie zwei junge Windhunde durch den unschuldig weißen Schnee und widmeten uns dem fotografischen Erlegen neuer Hüttenstadt-Motive. Diesmal war der VI. Wohnkomplex der Ort des Geschehens. Dort entdeckten wir dann auch den Grund für das plötzlich einsetzende winterliche Wetter: Hinter der Fröbelringpassage standen zwei heimtückisch ausgesetzte Kühlschränke offen herum.
An der Schönfließer Wache mussten Ben und ich ein paar böse Erfahrungen machen. Unsere überaus gute Laune trübten einige vorbeirasende Ekorianer, die zum Schichtbeginn die Straße 16 entlangheizten als gäbe es kein Morgen und dabei unsere Hosen ordentlich mit Schneematsch bespritzten. Ist es im EKO so usus, dass fremde Männer andere Männer bespritzen? Shame on you! Für uns heißt diese Straße fortan nur noch Straße der Bestien.
Für ein wenig Kulturprogramm sorgte der anschließende Besuch des Städtischen Musentempels in der Löwenstraße, wo aktuell eine Ausstellung zum Oeuvre des Malers und Grafikers Walter Wichmann den kunstvernarrten Besucher einlädt. Von Walter Wichmann (1916-1970) stammen u.a. die derzeit unsichtbaren Treppenmalereien im Friedrich-Wolf-Theater und die herzallerliebsten Keramikbrunnen in der Schule 2. Leider endete das Leben des Künstlers 1970 in München tragisch und durch eigene Hand. Unser Museumsbesuch endete durch fremde Hand; denn just in dem Moment, an dem wir die weiblichen Akte des Frankfurter Malers Neumann (in Preuß'schem Kulturbesitz) einer genaueren Inspektion unterziehen wollten, rief ein anderer Künstler selbigen Nachnamens, Thomas Neumann, uns telefonisch zu sich in die Broilergaststätte am Eisenhüttenstädter Times Square (die Lin Den Alley). Ein dort versammeltes fünfköpfiges Künstlerkollektiv plant für den Sommer 2007 eine futuristische Ausstellung im Aktivist, der leerstehenden ehemaligen HO-Gaststätte am Rande der Aufmerksamkeit. Mehr dazu ein andermal.
Nun zogen wir als die sieben kreativen Zwerge durch das Stadtbild, um uns von selbigem ein Bild zu machen. Die Sonne versprach das Blaue vom Himmel und der zarte Schnee verdeckte die schmutzigen Ecken des Viertels. Und das waren die Hochlichter (Highlights) unseres Rundganges: Hotel Lunik, Zentraler Platz, Krankenhaus, ein leerstehender Treppenaufgang in der John-Schehr-Straße und das Dok-Zentrum. Das hier immer noch käuflich zu erwerbende DDR-Spielzeug hatte es so manchem angetan, Kindheitserinnerungen lockten. Ich selbst konnte mich für Andreas Ludwigs Broschüre „Eisenhüttenstadt. Wandel einer industriellen Gründungsstadt in fünfzig Jahren“ erwärmen, zumal diese gratis war und mir bisher unbekannt.
Da sich die Herren der Schöpfung nach und nach verabschiedeten (Termine!), hatte ich die beiden einzig anwesenden Damen am Ende ganz für mich allein. Voller Hingabe lotste ich die beiden auf dem Bahnsteig durch den Tarifdschungel des Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn (Note für Übersichtlichkeit: ungenügend) und betätigte die passenden Knöpfe. (Ich frage mich immer wieder, wie Frauen ohne die helfenden und beschützenden Hände eines Mannes auch nur einen Tag überleben können?) Auf der anstehenden gemeinsamen Zugfahrt zeigten wir einander unsere gemachten Fotos. An dieser Stelle ein dreifaches Hoch auf die Digitalfotografie, die dieses ermöglicht!
Ich wünsche allen beteiligten Künstlern einige herausragende Ideen zum Thema. Zu gegebener Zeit wird hier oder im Nachbarblog darüber begleitend berichtet werden. Wir alle dürfen gespannt bleiben! Ich wünsche allen Bundesbürgern und Bundesbürgerinnen ein gesegnetes Weihnachsfest und ein glückreiches Jahr 2007. Amen.
p.s.: Drei Karmapunkte gehen an Ben, der mir sowohl den Schwarztee im Broilereck als auch das Stück Quarkmandarinenkuchen der Bäckerei Dreißig sponserte.
p.p.s.: Zwei Karmapunkte gehen an Thomas Neumann, der mir seine Publikation „Pictures Fromm Utopia“ überreichte und mit einer Widmung versah.
p.p.p.s.: Jeweils ein Karmapunkt geht an die beiden Damen für die kurzweilige Zugbegleitung.
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