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Montag, 28. September 2009

Münte, Böhning, Ströbele und ich

"Der große Abreißkalender an der Wand zeigte eine 27, eine schwarze 27."
(Kurt Tucholsky - Schloss Gripsholm)


Euer ergebener Andi Leser ist am Wochenende unversehens in die Fußstapfen des rasenden Reporters Egon Erwin Kisch gestiegen und ganz gekonnt darin ausgerutscht. Eindeutig zu groß! Euer Lokalreporter Andi Leser weilte am Wochenende in der Bundeshauptstadt und surfte dort durch den Fundus der sich bietenden Möglichkeiten, ohne jedoch eine davon zu ergreifen. Doch schön der Reihe nach.

Es war Samstag. Einen göttlichen Spätsommertag ausnutzend, begub ich mich ins Friedrichshainer Café Schönbrunn, um dort im Grünen ein Alsterwässerchen zu genießen. Plötzlich marschierte Franz Müntefering (69) mit seiner Posse vorbei und verteilte freundlich rote Rosen an junge Damen. Als die Röslein rot verteilt waren, setzte er sich mit SPD-Kandidat Björn Böhning (31), dessen Wahlkampf er damit unterstützen wollte, an den Nebentisch. Die beiden unterhielten sich so leise, dass ich kein Wort aufschnappen konnte, so sehr ich auch die Ohrfalten nach außen klappte. Nicht einmal einen Fotoapparat hatte ich dabei. Nur Schloss Gripsholm von Kurt Tucholsky.

Und während die beiden gemütlich palaverten, kam ein weißhaariger Mann angeradelt und verteilte dynamisch Handzettelchen. Das ätherische Männlein, dass dort so Gandalf-gleich umherschwebte, war kein geringerer als der ehemalige RAF-Anwalt und heutige Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele (70). Und während Björn Böhning statisch an der Lokalität kleben blieb und auch sonst sehr inaktiv rüberkam, schwang sich Ströbele schon wieder auf sein Ökorad und huschte elfenartig davon, zum nächsten Wahlpunkt, zum nächsten Kieztreff.

Was mich an diesem Großstadtausschnitt so verwundert ist der Fakt, dass ausgerechnet der Älteste der drei genannten Personen am beweglichsten erschien. Björn Böhning, der nicht mal halb so alt ist wie Ströbele, benahm sich hingegen großväterlich und verteilte lustlos rote Luftballons. Bei der SPD war da wohl schon die Luft raus.

Wusste Björn zu diesem Zeitpunkt bereits, wie es um die SPD bestellt war? Hatte ihm Münte soeben geheime Vorabergebnisse aus dem Twitter-Universum überbracht, die die sozialdemokratische Niederlage um einen Tag vorwegnehmen sollten? Hatte alles schon keinen Sinn mehr? Die Szenerie wirkte ein wenig prophetisch.

Natürlich ist das alles sehr subjektiv. Ich habe ja nur ein kleines Zeitfenster durchschaut und damit noch lange nicht die Lage erfasst. Ich hätte ein Foto machen können und nacheinander die Drei ansprechen sollen. Egon Erwin Kisch hätte das sicherlich so gemacht und dabei noch mir Unsichtbares entdeckt. Das nächste Mal bin ich vorbereitet. Das nächste Mal.

3 Kommentare:

  1. Ach, creme Dich nicht! Vielleicht siehst Du auch Theo bald, Tiger, und zwar frisch und münte am Platz-Eck. Außerdem: Wo es Böhnung gibt, ist auch eine Dünung nicht weit. Z.B. bei den berühmten Westerwellen. Und wer bei diesen Wellen nicht gleich an einen Keyserling denkt, der hat die Monarchie nicht im Blut.

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  2. Das muss ausgerechnet jemand sagen, der so schöne Wahlfotos in sein Blog stellt :-)

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  3. ps: Der Mann heißt Böhning und nicht Böhnung. Hatte mich konsequent vertippt. Das kommt, wenn man im Liegen schreibt und statt des "i" ein "u" erwischt. Ich habe es schnell korrigiert.

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