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Donnerstag, 18. März 2010

E.i.h.ü.: Viertorestadt Neubrandenburg


Eisenhüttenstadt ist halt überall (E.i.h.ü.). So lautet das Motto. Gemeint ist das Dejavu eines Hüttenstädters, das sich einstellt, wenn er in eine bisher unbekannte Stadt kommt und dort etwas in der Häuserarchitektur vertrautes sieht, genauer gesagt, Bauten, die aussehen, wie die in den ersten drei Wohnkomplexen. Dieses Dejavu hat mit dem Baustil zu tun, der überall in der DDR vorherrschend war, zumindest in den ersten fünf bis sechs Jahren der noch jungen Republik. Dieses Dejavu hat mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun, der überall in Deutschland innerstädtische Baulücken oder vielmehr Brachland hinterließ. Das Dejavu hat aber auch damit zu tun, dass die DDR eine Diktatur war, denn nur ein zentraler Herrscherwille mit absolutem Machtanspruch konnte im gesamten Land einen einheitlichen Architekturstil per Beschluss verordnen. Aus diesem Grund finden wir Fassaden im Sinne einer "Nationalen Bautradition" in verschiedenen Städten Ostdeutschlands. In Stalinstadt, in der Berliner Stalinallee, in Dresden, in Schwedt, in Brandenburg, ... - und eben in Neubrandenburg.


Die Stadt am Tollensesee gibt es seit 1248, obwohl die vorausgegangene Klostergründung am 18. August 1170 vom Datum her passender klingt, denn auch Eisenhüttenstadt wurde an einem 18. August gegründet, nur eben 780 Jahre später. Leider wurde die Innenstadt von Nigen-Bramborg (plattdeutsche Bezeichnung) am 29. April 1945 kriegsbedingt zerstört, vermutlich ein Racheakt der Roten Armee. Zu DDR-Zeiten durfte dies nicht offen thematisiert werden, es galt der Mythos vom Noble Savage Rotarmisten. Dafür wurde ab 1952 wiederaufgebaut. Übrig geblieben war eigentlich nur die alte Stadtmauer, die das Trümmerfeld (als solches sehe ich das Zentrum vor meinem geistigen Auge) umschließt und mit ihren vier Toren und den 24 Wiekhäusern allerdings ziemlich komplett erhalten ist.


Nun hatte man das Problem: das Eckige muss ins Runde, die modernen Wohnkästen mussten ins Rund der Stadtmauer eingepasst werden. Der Wiederaufbau orientierte sich am alten Straßenverlauf, die Bauten bekamen individuelle Fassaden, Renaissancegiebel, Mittelrisaliten, Portale und diesen ganzen Zuckerbäckerschnörkel, der diese Architektur auszeichnet und schnell erkennbar macht. So entstand analog zur Stalinstadt die wohl erste sozialistische Innenstadt der DDR. Das Schicksal der von einer mittelalterlichen Stadtmauer umzingelten sozialistischen Innenstadt sollte übrigens 20 Jahre später Bernau bei Berlin auch ereilen, nur dass hier nicht Rotarmisten Schuld an der Zerstörung der historischen Bausubstanz tragen, sondern die Planwirtschaftbürokratie mit ihren fantasielosen Miesepetern und geschichtslosen Schreibtischtätern.

Eisenhüttenstadt ist halt überall, auch in der Viertorestadt Neubrandenburg.

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