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Montag, 15. September 2008

Freund Blase Trübsal

Unter Freunden ernsthafter Musik ist er seit Jahren ein Unbekannter geblieben: Daniel Trübsal. Als Gründer des Sinnfonie Ohrchesters Stahlinstadt (SOS) wollen vor allem die Liebhaber experimenteller und klassischer Musik nichts von ihm hören. Vergessen sind seine Kompositionen "Schnick schnack schnuck", "Heidschibumbeidschi in D-Moll" oder "Tsching-derassa-bumm". Auch die Tantiemen für die Möbiskruger Ortshymne "Möbis in der Kruge saß und schlief" gehen auf sein Konto. Heute begeht Daniel Trübsal Selbstmord oder seinen 50. Geburtstag. Anlässlich des Jubiläums führt das Friedrich-Wolf-Theater eine einwöchige Retropektive durch.

Dabei hatte es anfänglich nicht gut ausgesehen mit der Karriere des Daniel Trübsal, denn zweimal kam er als Fehlgeburt zur Welt. Vater Hartmut war im Eisenhüttenkombinat beschäftigt und wollte darum, dass sein Sohn unbedingt ein Blechblasinstrument erlernt. Die Wahl fiel aus praktischen Erwägungen heraus auf eine Tuba, da der Sechsjährige dieses Instrument auch noch als Indianerzelt und Kanonenattrappe verwenden konnte.

Doch der junge Trübsal quälte sich mit dem Instrument. Nachbarn und Verwandte gaben Geld, damit er aufhörte zu spielen. Daraus wäre sicherlich eine gute Einnahmequelle erwachsen, wenn Trübsal nicht an Tubakulose erkrankt wäre, einer Berufskrankheit. Nun musste ein Ausweichinstrument her und Guter Rat, die Haushaltszeitschrift der DDR, war schwer zu bekommen. Da der Vater der gerade aufkeimenden Schwulenbewegung feindlich gesonnen war, schied das Blasen der Posaune aufgrund ihres Klangs schon mal aus (diese klang eben nach Po-Sauna). Ebenso das Sacksophon.

Endlich konnte sich der Sohn durchsetzen und ein Holzblasinstrument erlernen. Es war so klar wie der Ton der Klarinette, dass der Blasebalg die Oboe erwählte. Schon bald spielte er die Oboe wie ein junger Fagott. Mühelos kletterte er die Tonleitern rauf und runter und erfand nebenbei neue Goldbergvariationen. Schnell wurde er zum Vorzeigeschüler der Musikschule Stahlinstadt. Die Eltern der anderen Musikschüler waren frustriert, denn Trübsal kam immer zum Vorspiel. Mit zwölf Jahren war Daniel das erste Mal neben dem Radio zu hören, auch verschiedene Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Die zunehmende Aufmerksamkeit der Erwachsenen an seinem Talent erweckte das allgemeine Interesse der Mädchen am Tuten und Blasen. So mancher Stahlinstädter bekam infolgedessen die Flötentöne beigebracht.

Mit 18 Jahren ließ Trübsal die Klassik abrupt hinter sich. Unter dem Einfluss des Komponisten Steve Reich wandte er sich den Techniken des Minimalismus zu und begann mit der Arbeit an eigenen Stücken, zum Beispiel "Oboey" oder "Singular Song". Stipendien führten ihn nach Polyphonesien und in die Musikalische Republik Blasilien (BPM), wo er Bekannschaft mit afrikanischer Rhythmik machte und sich dem Jazz zuwandte. Zusammen mit farbigen Musikern wohnte er in einem besetzten Haus, regelmäßig kam es zu nächtlichen Jamsessions. Gern erinnert er sich an diese Zeit:

"Die Nachbarn schimpften immer und drohten mit der Polizei: Eure Musik ist zu laut, macht Malaysia!"

In den Neunzigern brachte er mehrere Platten auf den Markt. Die LPs hatten unnütz im Regal gestanden und waren nach dem Komplettumstieg auf CD nicht mehr vonnöten. Sein Plattenstand auf dem Bauernmarkt ist legendär. 1999 erfolgte die Gründung des Sinnfonie Ohrchester Stahlinstadt (SOS) als Straßenensemble. Über Jahre begleitete das SOS die Ortskontrollfahrten in der Linden Alley. Trübsals bekannteste Kompositionen stammen hauptsächlich aus dieser Periode, beispielsweise "Stiel mir den Beat vom Brot" oder "Quasi-Mode".

Feiern wir darum heute einen ganz Großen – feiern wir Lee "Scratch" Perry!

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