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Freitag, 26. Mai 2006

Der Müll, die Stadt & die liebe Not


Eisenhüttenstadt ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Sie ist die 1. deutsche Stadtneugründung nach dem 2. Weltkrieg. Sie ist eine Stadt fast ohne Privateigentum und Eigenheime - wenn man von der Peripherie mal absieht. Und sie hat seit ein paar Jahren Schilder, wie ich sie noch nie zuvor in einer anderen Stadt oder gar in einem anderen Land verwundert bestaunen konnte. Ich fühlte mich an propagandistische Plakate aus den 50er, 40er und auch 30er Jahren erinnert. Warum? Das kann ich nicht so genau erklären. Vielleicht entdeckt ja der geneigte Leser einen verborgenen Zusammenhang. Was die Schildbürger eigentlich bezwecken, wird schnell deutlich, wenn man den Text auf einem der in verschiedenen Varianten aufgestellten Schilder liest:

"AUGEN AUF! Illegale Ablagerung von Abfällen ist eine Ordnungswidrigkeit und wird geahndet! Für wilde Entsorgung zahlen alle!"
Da die besagten Schilder direkt über den einbetonierten Mülltonnen an den abschließbaren Müllstellplätzen angebracht sind, ist auf den ersten Blick klar, an wen sich die drei Ausrufezeichen richten. Alle, die über keinen entsprechenden Müllschlüssel verfügen, dürfen hier keinen Müll ablagern. Ihr bösen schwarzen Männer (bitte nicht rassistisch deuten!) vom Plakat, falls ihr es noch nicht wusstet: was ihr da nächtens, wenn der brave Bürger schläft oder fernschaut, veranstaltet, ist voll verboten. Also haltet euch gefälligst daran! Sonst werdet ihr geahndet!

Auf den zweiten Blick richtet sich das Plakat jedoch eher an die Einwohner, denn schließlich ergeben Anfangs- und Schlussbotschaft zusammen gezogen: "Augen auf! (...) Für wilde Entsorgung zahlen ALLE!" Die Kosten für das illegal Abgelagerte werden demnach auf die umliegenden Bewohner umgelagert. Man versucht geschickt, dem Übel über die monetäre Schiene beizukommen. Das zieht immer. Darum Bürgerauge, bleib wachsam! Der Feind ist überall. Er kommt des Nachts. Und er will dir ans Portemonnaie!

ps: Die Überschrift ist selbstverständlich eine Anlehnung an den Titel des Theaterstücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" (1974) von Rainer Werner Fassbinder. Der Name des deutschen Regisseurs ist jedoch keine Anlehnung an den des Eisenhüttenstädter Bürgermeisters Rainer Werner.

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