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Dienstag, 16. Mai 2006

Matthias Steier im Interview

Netzpremiere! Aus aktuellem Anlass veröffentliche ich folgendes Interview mit dem Eisenhüttenstädter Maler und Grafiker Matthias Steier zum ersten Mal im Internet. Von Matthias Steier stammen die fünf Motive der neuen Briefmarkenedition "Oder-Impressionen" des privaten Zustelldienstes Speedy Express, welche am 2. Mai 2006 der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Das Interview war zuvor in der Stadtjugendzeitung ZIELSCHEIBE, Nr. 23, vom Mai 1997, unter folgender Überschrift erschienen:

VORSICHT – STEIER!
Das erste Mal begegnete ich Matthias Steier 1992 in der Aula des Städtischen Gymnasiums. Ich betrachtete sein Pentachon (fünfteiliges Triptychon), welches gerade aus dem Trockendock in die Aula umgehängt worden war. Ich fragte Steier, was er mit diesem Bild ausdrücken wollte und warum dies und jenes darauf zu sehen sei. Doch statt einer Erklärung verblüffte er mich mit der Antwort, ich solle mir selbst ein Bild machen und versuchen, eine eigene Interpretation zu finden. Er könne nicht alles erklären. Damals dachte ich, da könnte man ja alles Mögliche malen, wenn man es nicht zu erklären braucht. Mittlerweile weiß ich, man kann alles Mögliche malen, ohne es erklären zu müssen.

Am 5. 5. 1997 traf ich mich mit Matthias Steier in seinem Atelier im Ärztehaus zu diesem Interview. Mein Kopf war voller Fragen und das Band vom Diktiergerät noch leer.

Du bist freischaffend. Wie teilst du deinen Tag ein?
Wenn man mich früh fragt: „Was – du bist schon auf?“, dann sage ich immer, du denkst wohl auch, ich bediene das Klischee, dass der Künstler sowieso erst mittags aufsteht oder im Bett liegen bleibt, bis ihn die Muse küsst. Das ist nicht so. Da bin ich eigentlich ein regelmäßiger Arbeiter. Aber nicht aus irgendwelchen Zwängen, sondern weil mir mein Beruf eben auch Bedürfnis ist. Ich bin ein Frühaufsteher und auch relativ zeitig im Atelier. Die ganzen handwerklichen Arbeiten, die auch gemacht werden müssen, erledige ich vorher – bis mich die Muse küsst.

Und wann küsst dich die Muse? Mehr draußen oder im Atelier?
Ich bin eigentlich auf Arbeit, sobald ich die Augen aufmache. Nun, das kann draußen sein, das kann durchs Fernsehen sein…, durch vielfältigste Beeinflussung. Das kann ein Buch, ein Film, die Lokalpolitik, eine persönliche Auseinandersetzung, irgendwelcher Zoff mit sonstwem, der besondere Lichteinfall in einer bestimmten Landschaftssituation sein. Die Möglichkeiten sind unerschöpflich.

Was ist deine Motivation?
In erster Linie male ich die Bilder für mich. Es sind meine Reflexionen zur Zeit, zur Welt, zu allem Möglichen. Manchmal fragt mich jemand: Was hälst du für dein bestes Bild? Da antworte ich dann – und es kann auch gar nicht anders sein – das Bild, was ich gerade auf der Staffelei habe, das wird das beste Bild.

Bist du kritisch mit dir, wenn du so ältere Bilder siehst? Sagst du dann, das ist Scheiße oder…?
Es ist ja so, ein Bild ist nie wiederholbar. Man würde dasselbe Bild in einem zeitlichen Abstand immer etwas anders malen.

Fühlst du dich irgendeinem Zeichenstil verbunden? Über Matthias Steier höre ich oft, das sei Surrealismus?
Ja, surrealistische Anklänge schon. Ich würde vielleicht eher sagen: magischer Realismus, simultane Bildkonstellation. Also Dinge, die so nicht zusammen passen, die aber in meiner angestrebten Bildaussage patchworkmäßig zusammen gefügt werden.

Gehst du da nach Aussehen? Also nur, weil es gut aussieht?
Erst einmal inhaltlich. Andererseits können dann aber wieder Elemente hinzukommen, aus formalen Gründen, um das Bild „rund“ zu machen. Dann malst du aber nicht irgendwas, es muss schon etwas mit dem Bildinhalt zu tun haben.

Hast du schon einmal das Bedürfnis gehabt, den Betrachter zu verwirren, indem du etwas gemalt hast, was dir gerade eingefallen ist?
Es ist einfach so, dass ich natürlich meine Vorstellungen habe. Dann kommt aber auch Unterbewusstes unter Umständen mit rein. Es ist einfach nicht so, dass ich alles erklären kann, weil manches eben unbewusst entsteht. Und ein Bild ist eben auch kein Kreuzworträtsel, was bis auf den letzten Buchstaben auflösbar ist. Ich habe auch meinen Spaß daran, an meinen Einfällen. Klar, eine persönliche message habe ich schon, ich stell das jetzt aber nicht als Dogma hin, und die Betrachter müssen das alles so erkennen wie ich. Die guten Bilder sind eigentlich immer die, die irgendwie so auf der Kippe stehen. Also wo es mehrere Auslegungsvarianten gibt. Das erste Mal habe ich den Spaß beim Malen, und das zweite Mal habe ich einen eminenten Spaß, wenn Beobachter mir schlüssige Interpretationen eines Bildes bringen, die anders liegen als meine.

Außerdem sieht ja sowieso jeder etwas anderes.
Eben.

Aber das scheinen viele Kunstlehrer nicht zu begreifen.
Es ist ein himmelweiter Unterschied, wie Kunsterzieher so eine Arbeit beurteilen und wie Künstler sowas sehen.

Es sind eben keine Künstler, sondern Lehrer. Was rätst du dem Nachwuchs? Da ist jemand, der meint, er hätte Talent.
Man darf sich nicht so einer momentanen Laune hingeben, oder weil es chic ist. Jetzt werden wir Künstler, das ist chic. Es ist ein ziemlich hartes Dasein, mein Beruf ist mein Luxus. Man muss feststellen, dass, wenn man Blut geleckt hat, nicht mehr ohne kann, dass es wirklich die Erfüllung ist.

Was bedeutet Kunst für dich? Wo siehst du den Stellenwert der Kunst? Ist Kunst etwas, das unterhalten soll oder…?
Kunst ist für mich dazu da, ja, zu unterhalten schon, aber, um das zu präzisieren, auch um eine geistige Beweglichkeit zu befördern.

Das ist gut. Du hast eine allgemeine Frage konkret allgemein beantwortet. Mir sind die Fragen ausgegangen, ich beschließe, ich bin jetzt fertig. Hast du noch ein Schlusswort?
Geschmiert ist nicht gemalt.

Ich danke für dieses Gespräch.


Quelle: ZIELSCHEIBE, Nr. 23, Mai 1997, S. 11
Foto: ehstiques (flickr)

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