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Montag, 8. Mai 2006

Stahlwerk Orange. Romanfragment.

„In einer Welt, in der man nur noch lebt,
damit man täglich roboten geht,
ist die größte Aufregung, die es noch gibt,
das allabendliche Fernsehbild.
Jeder Mensch lebt wie ein Stahlwerk,
wie ein Computer programmiert.
Es gibt keinen, der sich dagegen wehrt,
nur ein paar Jugendliche sind frustriert.“
(Die Toten Hosen: Hier Kommt Alex!)


„Hej – was geht ab?“
Da saßen wir nun, das heißt ich, Alex, und meine drei Droogs Ben, Ken und Sven, in der Mokka-Milch-Eisbar und überlegten, was wir mit diesem jungen Frühlingsabend anstellen sollten. Die Mokka-Milch-Eisbar war der einzige Ort in Satelittenhüttenstadt, an dem man Schwedeneisbecher löffeln oder aber die obergeile Fruchtmilch Plus, die Lust auf mehr machte, ordern konnte. Den Nachmittag hatten wir in der nahe gelegenen RFT-Plattenbutike verbracht, um die neuesten Scheiben des guten alten Ludwig van oder vom wirklich begabten Amadeus zu sluschen.

Nun waren die Geschäfte, bis auf die Spätkaufhalle Fix, geschlossen, und die Straßen waren noch öder als am Tage. Im Kaufhaus Magnet gingen gerade die Lichter aus. Doch es war eindeutig noch zu früh, sich jetzt heimwärts zu trollen. Darüber hinaus waren wir spitz wie Lumpi und wollten uns jeder noch eine Devotschka angeln, um mit ihr das alte Rein-Raus zu veranstalten.

Euer ergebener Erzähler hatte sich bereits eine liebliche Fruchtschnitte ausgekuckt. Sie saß in so nem Teil, dass die Schultern frei ließ, inmitten ihrer Freundinnen am anderen Ende der Milchbar und hatte elfenhaft braunes Haar, das sich wie ein Wasserfall über die marmorne Haut ihrer entblößten Schultern ergoss. Die Nacktheit ihrer Schultern brachte mich dazu, sie in meinen Gedanken weiter zu entblättern, bis ich schließlich die rosa Blüten ihrer zarten Rose zu sehen bekäme…

„Hej – was geht denn nun?“ Ken riss mich mit seiner dämlichen Frage, die den Grad seiner Unselbständigkeit bewies, jäh aus meinen Gedanken. Das machte mich völlig rasdras und ich gab ihm einen gezielten Toltschock in sein Litso. Ken glotzte besumni zurück, sagte aber nichts. Ben und Sven smeckten. Eins war Sache, wir mussten uns ein bisschen Valuta organisieren, denn: ohne Moos nix los. Die Ladys wollten umsorgt sein, bevor man es ihnen besorgte.

Satelittenhüttenstadt ist eine geplante Stadt, am Reißbrett entstanden, auf Anweisung von Ganzoben. Auf dem Reißbrett, also in der Draufsicht, mag sie gleichmäßig und harmonisch erscheinen, doch die Draufsicht ist die Perspektive eines über den Dingen stehenden Gottes. Aus der Innenansicht, also der menschlichen Perspektive, wirkt sie langweilig und ungemütlich. Alles hier steht im rechten Winkel zueinander: die Straßen, die Häuserblocks, die Rasenflächen vor den Häuserblocks, die Wäscheleinen innerhalb der Rasenflächen und die Fußwege um die Rasenflächen herum. Wenn es viereckig blühende Blumen und kubisch wachsende Bäume geben würde, hätten die Architekten auch diese für Satelittenhüttenstadt verwandt.

Mein Plan sah vor, gemeinsam mit Ben einen Wagen zu krasten, um die Devotschkas an den Stadtrand, zur Skiwiese zu chauffieren. Ken und Sven sollten indessen mit dem alten Timurtrick die Kassiererin im Fix übertölpeln und so die Ladenkasse der Spätkaufhalle plündern. Wir mussten fertig sein, bevor das Eisenkombinat seine Spätschichtler ausspuckte und die Stadt kurzzeitig zum Leben erweckte. Nach gelungener Operation wollten wir uns an den Strauß junger, ungepflückter Blumen heranmachen und sie mit ordentlich Fruchtmilch Plus abfüllen. Ich konnte es kaum erwarten, der kleinen Prinzessin mit dem wallenden Haar mein Königreich zu zeigen…

(08:05:2006@e-city:de)

4 Kommentare:

  1. Anonym5:23 PM

    Meine liebe Scholliselotte!
    Hier haben sie ja viel das Pulver vielleicht nicht gerade erfunden aber ordentlich verschossen!

    Dieses Romanbruchstück lässt mich wirklich in die Eisen gehen, von denen Du ein wirklich heißes aus gerade dem Feuer holst, in welchem Du bekanntlich immer mehrere zu haben pflegst.

    Ich hoffe, der Erotikanteil dieser würzigen Fantasie aus der Bügeleisenhüttenstadt wird noch weiter ausgewalzt, ganz nach dem Motto des Zen-Altmeisters Shunryû Suzuki: Seid wie reine Seide und scharfer Stahl, nur expliziter und nicht so erzkonservativ wie die üblichen - aufgepasst, jetzt wird's platt wie im VIIten - ERZählungen.

    Ich denke an eine "junges Blut und altes Eisen"-Geschichte für Menschen mit Nerven wie Stahlseile, die durchaus den Titel des Jerry Cotton Krachers "Insel aus Stahl und Blut" übernehmen und mit neuem Inhalt füllen kann.

    Ich erwahrte mindestens einen "Rostigen Engel", ein "Mädchen aus Stahl" a la Battle Angel Alita und vielleicht auch eine "Panzerbraut" und nicht weniger als das Vorkommnis einer Protagonistin aus Thea Dorns "Marleni : preußische Diven blond wie Stahl". Nur Mut, Versschmied und Prosamboss.

    Dachtest Du mit dem Svenni eigentlich an unseren Naturheilkünstler? Und mit dem Ken den berühmten Ken Park? Und mit der Figur des Ben? - seit dem was dem Biller Maxim passiert ist, muss sehr aufpassen, wenn man sich die realen Vorbildern zu real abbildet: bei ihm hieß aus diesem tiefen Grunde, Esra bald nicht mehr "Pound".

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  2. Anonym5:25 PM

    Das Komma im letzten Satz vor Esra ist natürlich völliger Humbug und Resultat einer schäbigen Copy-and-Paste-Kommentar-Schreibkultur. Ich bitte um diesbezügliche Ignoranz..

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  3. O Mann, Ben, du bist ein Wortgott (oder ein Wort Gottes?)! ERZähler - da benutz ich diesen Begriff seit Jahr und Tag und habe dennoch nicht entdeckt, dass da ERZ drinsteckt. Wir sollten ein Buch zusammen schreiben: du die Worte, ich die Leerzeichen.

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  4. Anonym7:07 PM

    Was halb ist, wird ganz werden.
    Was krumm ist, wird gerade werden.
    Was leer ist, wird voll werden.
    Was alt ist, wird neu werden.
    Wer wenig hat, wird bekommen.
    Wer viel hat, wird benommen.

    Also auch der Berufene:
    Er umfasst das Eine
    und ist der Welt Vorbild.
    Er will nicht selber scheinen,
    darum wird er erleuchtet.
    Er will nichts selber sein,
    darum wird er herrlich.
    Er rühmt sich selber nicht,
    darum vollbringt er Werke.
    Er tut sich nicht selber hervor,
    darum wird er erhoben.
    Denn wer nicht streitet,
    mit dem kann niemand auf der Welt streiten.
    Was die Alten gesagt:
    “Was halb ist, soll voll werden”,
    ist fürwahr kein leeres Wort.
    Alle wahre Vollkommenheit ist darunter befasst.

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